Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012
verstehen wollen, weil ihnen Religion doch eine so billige und biegsame Ausrede für Hass auf irgendjemanden ist, seien es Schwule, Abtreibungsbefürworter, HIV-Infizierte, Evolutionisten, Obdachlose, Frauen, Atheisten, Schwarze oder einfach alles, was anderer Meinung zu sein wagt.
Nebenbei veralbert Niven die Medien, insbesondere das Fernsehen. Der ebenso widerliche wie intrigante Casting-Show-Juror Steven Stelfox (offenbar dem englischen Pop-Idol-X-Factor-Oberekel Simon Cowell nachempfunden) kriegt seine eigene Show um die Ohren gehauen, und der Katholik, der wutgeifernd auf Jesus Christus’ Analyse des verlogenen Papsts reagiert, läuft auf des Gottessohnes Güte auf wie ein Dampfer auf einen Eisberg: »›Hey, dann vergib mir‹, sagte Jesus … ›Du bist doch hier der Christ.‹«
Einige Gags laufen für den deutschen Leser allerdings einfach ins Leere, weil Leute wie Jesse Helms oder Jerry Falwell (zwei in den Staaten für ihren Schwulen- und Schwarzenhass berühmte Politiker) hier einfach niemand kennt. Immerhin wird erklärt, wer George Washington Gordon gewesen ist und warum er in der Hölle von riesigen schwarzen Basketballspielern anal penetriert wird …
Natürlich sollte man schon etwas mit beißendem Sarkasmus und schwarzem Humor anfangen können, um sich über die Kapriolen zu amüsieren, die dieser Roman schlägt, und nicht mit dem feinen literarischen Skalpell oder Florett rechnen. Hier regiert der
Säbel, wenn nicht gar die Keule. Dazu passt auch, dass als einzige Figur des Buches Jesus selbst zu einer plastischen Figur aufgebaut wird, während alle anderen, Gott nicht ausgenommen, kaum über ihre Rolle als Sprachrohre hinausgelangen. Dementsprechend ist die Hinrichtungsszene am Schluss dann auch wirklich starker Tobak und sollte allen Todesstrafenbefürwortern einmal täglich vorgelesen werden …
Das Problem mit solchen schon in der Konzeption auf Blasphemie ausgerichteten Büchern ist das der Zielgruppe: Die bigotten, ewig gestrigen Verteidiger des Bibelworts werden den Roman mit Sicherheit nicht lesen, obwohl sie es dringend nötig hätten … und die aufgeklärteren Zeitgenossen, die Kirche sowieso schon für eine per se gottlose Veranstaltung halten, fühlen sich lediglich bestätigt. Insofern haftet dem Buch eine gewisse Aura der Vergeblichkeit an, ganz wie jenen Kabarettsendungen, in denen allen die Leviten gelesen werden, die solche Sendungen gar nicht erst einschalten.
Wirklich gruselig jedoch ist die Tatsache, dass es wohl noch kein amerikanischer Verlag gewagt hat, den Roman zu drucken; und noch gruseliger – wenn es denn stimmt –, dass einige islamkritische Passagen aus Angst vor den üblichen berufsaufgeregten Verdächtigen gestrichen worden sein sollen.
Karsten Kruschel
GERO REIMANN
SONKY SUIZID
Roman · Shayol Verlag, Berlin 2011 · 251 Seiten · € 17,90
Um es gleich vorweg zu sagen: »Sonky Suizid« ist einer der düstersten Romane, die 2011 erschienen sind. Immerhin verarbeitete Gero Reimann damit nicht nur seine eigene Krebserkrankung, sondern auch seine Sichtweise der bundesdeutschen Gesellschaft der Achtzigerjahre, die ihm wohl ebenfalls zutiefst krank erschien. Und gleichzeitig setzte er sich mit jener Frage auseinander, die auch den von ihm bewunderten Philip K. Dick zeitlebens umtrieb: der Frage nach der Realität.
Dass »Sonky Suizid« alles andere als ein gewöhnlicher phantastischer Roman ist, darf bei diesen Themen nicht weiter verwundern.
So ist es nahezu unmöglich, die Handlung in wenigen Worten adäquat wiederzugeben. Sonky Suizid ist nicht nur der Titel des Buches, sondern gleichzeitig der Name der Hauptfigur, die natürlich beileibe kein herkömmlicher Held ist. Um seine im Sterben liegende Tante Dorrit noch einmal zu sehen, reist Sonky in eine »typische« bundesrepublikanische Stadt der Achtzigerjahre. Als »Handgepäck« führt er zwei Munitionskisten mit sich, die sinnbildlich für die Schrecken der Weltkriege stehen und – wenn geöffnet – eine realitätsverändernde Wirkung entfalten. Gemeinsam mit der jungen Frau Karin, die er zufällig kennenlernt, entführt Sonky nicht nur seine todgeweihte Tante, sondern auch den ebenfalls im Sterben liegenden Selbstmörder Harald aus einer Klinik. Natürlich hauchen Letztere ohne medizinische Hilfe schnell ihr Leben aus, sodass Sonky von nun an neben der lebenslustigen Karin auf seinem (Irr-)Weg durch die Stadt von zwei Zombies begleitet wird.
Schließlich findet diese reichlich
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