Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012
werden immer länger und schärfer« und – voilà – der Thanagarianer sieht sich mit Außerirdischen konfrontiert. Kampf; Chaos; das Flugzeug stürzt ab und kracht – »Bei Thanagar!« – »von allen Inseln in allen Meeren auf dem Planeten Erde … ausgerechnet auf Dinosaur Island.« Tyranosaurier und Alien-Raumflotten in einem abenteuerlichen Atemzug – das hätte Spaceman Spiff, diese Science Fiction-Inkarnation von Calvin, nicht besser hinbekommen.
Den metaphysisch anspruchsvollsten Beitrag leistet Deadman von Dave Bullock: Der heldenhafte Tote teilt den interessierten Lesern mit, wie Totsein sich anfühlt: »Fakt ist, dass ich ohne Körper nichts spüren kann … So ist’s fast wie Fernsehen.«
Insgesamt geben sich siebzehn der großen, alten Heldenherren die Ehre in dieser mal hemmungslos nostalgischen, mal grafisch wie erzählerisch überkandidelten, aber immer unterhaltsamen Show. Wir älteren Leser lehnen uns jedenfalls zurück in unseren Ohrensesseln, schließen befriedigt die Wednesday-Comics, winken dem Butler, der schon den Kristallstöpsel aus der Flasche St. Magdalene zieht, und denken: Es war eine schöne Zeit mit unseren großen Helden, damals wie heute.
Hartmut Kasper
CHARLES BURNS
X: 1 (X’ed Out)
Reprodukt, Berlin 2011 · 56 Seiten · € 18, –
»Und ihre Kennzeichen sind mannigfach und immer wieder hübsch gleichmäßig vorhanden: Arm geboren sind sie. Unter unglücklichen Familienverhältnissen aufgewachsen. Brennend scharfen Geistes übervoll – und dieser, da auf einen bösen Boden gepflanzt, nichts weniger als angenehm … Sie sind, mit ihrer überscharf gewetzten Beobachtungsgabe, ihrer allumfassenden Rücksichtslosigkeit, die geborenen Autobiographen … Und über die verwildert-medusischen, ätzend herausgezischten, Interieurs von jenseits des Styx rümpft der Gebildete die feine Nase!«
So lautet der wesentliche Teil der Definition, mit der der grummelige, nicht gerade philanthrope, zurückgezogen lebende Dichter Arno Schmidt im Jahre 1957 die von ihm ersonnene Künstlerbeziehungsweise Schriftsteller-Kategorie der »Schreckensmänner« füllte, und zwar in einem gleichnamigen dialogischen Radioessay anlässlich des 200. Geburtstags des »Anton Reiser«-Autors Karl Philipp Moritz. Das mit der gebürtigen Armut mal außen vor gelassen – zwischen drei grummeligen, nicht gerade philanthropen, zurückgezogen lebenden Größen des gegenwärtigen amerikanischen Independent-Comics sind vielerlei Ähnlichkeiten auszumachen, die tatsächlich gute Gründe dafür liefern könnten, sie probehalber (ohne Nivellierung des jeweils ganz eigenen Profils) über einen lobenden Kamm zu scheren. Chris Ware, Daniel Clowes und Charles Burns schreiben und zeichnen keineswegs angenehme Ge-schichten; sie sind allesamt (sich) scharf beobachtende, rücksichtslose und daher geborene Autobiographen; ihre Interieurs liegen mehr oder weniger offensichtlich jenseits des Styx (heißt: Das Phantastische spielt immer eine Rolle, auch wenn es züchtig und leichter hochkulturanschlussfähig als Traum oder Surrealismus daherkommt); und es gibt immer noch Gebildete , die über derart Verwildert-Medusisches die Nase rümpfen, da es sich schließlich um Comics handelt.
X: 1
Es sind Comics, die keine besonders gute Laune verbreiten. Ware, Clowes und Burns richten ihre Blicke sowohl nach innen (wessen Inneres das auch immer genau sein mag) als auch – bisweilen gleichzeitig – nach außen, und was sie sehen beziehungsweise uns von dem zeigen, was sie sehen, ist mindestens traurig, meistens finster, häufig unheimlich, selten erheiternd und so gut wie immer unangenehm berührend. Ihre grafischen Erzählungen von heftig verkorksten Existenzen in alles andere als bestmöglichen Welten irritieren darüber hinaus durch die Fallhöhe zwischen einer sehr geordneten, feinst gearbeiteten und in formaler Hinsicht eher unschuldige Zeichentraditionen aufrufenden Grafik einer- und den abgründigen Erzählmotiven und Sujets andererseits.
Charles Burns, der mit X endlich eine Nachfolgeserie seines bisherigen, comic-kanonischen Opus Magnum Black Hole startet, ist beispielsweise einer der besten Tuscher Amerikas und wurde als solcher bereits einige Male ausgezeichnet. Bei X ist neu, dass Burns seine markanten Konturen mit Farbe füllt, statt auf den für ihn typischeren Schwarz-Weiß-Effekt zu setzen. Schon dadurch stellt Burns seine neue Fortsetzungsgeschichte in eine Comictradition, die auf den ersten
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