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das Kriegsministerium und vor allem der Hradschin, der auf seinem steilen Burghügel thront und das Herzstück der Macht bildet. Vor zehn Uhr werden Artilleriegeschütze auf den Stadtmauern in Stellung gebracht und auf die Unterstadt gerichtet.
Die einzigen Probleme, denen man begegnet, sind logistischer Natur: Der Schneesturm hat den deutschen Fahrzeugen stark zugesetzt, und hier und dort trifft man auf liegengebliebene Wagen und Panzer, die aufgrund mechanischer Probleme zum Stehen gebracht wurden. Außerdem haben die Deutschen Schwierigkeiten, sich in dem Straßengewirr Prags zurechtzufinden: Man kann beobachten, wie sie tschechische Polizisten nach dem Weg fragen, die ihnen gehorsam zu antworten scheinen – der Pawlow’sche Reflex vor der Uniform zweifellos … Die malerische Straße Nerudova, die zur Burg hinaufführt und mit Wappen und Schildern geschmückt ist, wird von einem verirrten Panzerwagen blockiert. Während sich der Fahrer bei der italienischen Gesandtschaft nach dem Weg erkundigt, überwacht der einsame Soldat auf dem Drehturm die schweigsame Menschenmenge aus schaulustigen Tschechen um ihn herum, den Finger stets am Abzug seines Maschinengewehrs. Doch nichts passiert. Der General, der das Kommando über die deutsche Vorhut hat, berichtet ausschließlich von geringfügigen Sabotageakten: ein paar zerstochene Reifen.
Hitler kann sich in aller Ruhe auf seinen Besuch vorbereiten. Noch bevor sich der Tag neigt, ist die Stadt «gesichert». Kavallerietruppen patrouillieren in aller Ruhe an den Ufern der Vltava. Es wird eine Ausgangssperre verhängt, die den Tschechen verbietet, sich nach zwanzig Uhr draußen aufzuhalten. An den Eingängen der Hotels und der öffentlichen Gebäude stehen deutsche Wachposten mit Gewehren und aufgepflanzten Bajonetten. Prag ist kampflos gefallen. Die Pflastersteine der Stadt sind von dreckigem Schnee bedeckt. Den Tschechen steht ein sehr langer Winter bevor.
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Mitten durch die schier endlose Soldatenkolonne, die sich wie eine lange Schlange die vereiste Straße entlangbewegt, bahnt sich eine Mercedes-Kolonne mühsam den Weg Richtung Prag. Die ranghöchsten Mitglieder der Hitler-Clique befinden sich auf der Reise: Göring, Ribbentrop, Bormann. Und im Wagen des Führers, neben Himmler, sitzt Heydrich.
Woran denkt er, als sie nach der langen Reise endlich ihr Ziel erreichen? Ist er von der labyrinthischen Schönheit der Stadt der hundert Türme ergriffen? Ist er vollauf damit beschäftigt, sich an den Privilegien zu berauschen, die ihm seine Position beschert? Ist er verärgert, dass sich das Gefolge im Schneckentempo und auf Irrwegen durch die Stadt schleppt, die der Führer an ebendiesem Morgen erobert hat? Oder keimt in seinem berechnenden Hirn bereits ein Plan, wie er seine Karriere in der ehemaligen tschechischen Hauptstadt weiter vorantreiben kann?
Der zukünftige «Henker von Prag», von den Tschechen auch als «der Schlächter» betitelt, entdeckt die böhmische Stadt der Könige: Die Straßen sind menschenleer, durch die Ausgangssperre wie leergefegt; die Fahrzeuge der deutschen Armee haben sichtbare Spuren im schmutzigen Schnee auf der Straße hinterlassen; in der Stadt, die erst heute erobert wurde, herrscht beeindruckende Stille; in den Schaufenstern der Geschäfte sind Kristallgeschirr oder Fleisch- und Wurstwaren in Hülle und Fülle zu sehen; im Herzen der Altstadt, in der Mozart Don Giovanni komponierte, erhebt sich die Oper; es herrscht Linksverkehr, wie in England; der Konvoi schlängelt sich der Burg entgegen, die in atemberaubender Lage allein auf dem Burghügel thront; prächtige und zugleich beunruhigende Statuen schmücken das von SS-Männern bewachte Portal des Haupteingangs.
Die Kolonne dringt in das Gebäude ein, das bis gestern noch als Präsidentenpalast fungierte. Heute ist alles anders: Über der Burg weht eine Hakenkreuzfahne und kündet von der Anwesenheit der neuen Herren vor Ort. Hácha ist noch nicht aus Berlin zurückgekehrt – sein Zug wird in Deutschland aufgehalten. Er wird erst nach den deutschen Besatzern den Hradschin erreichen, wo man ihn durch den Dienstboteneingang hereinlässt. Ich nehme an, ihm war der ironische Beigeschmack dieser Demütigung in vollem Ausmaß bewusst. Tags zuvor hatte er sich noch über den staatsmännischen Empfang gefreut, den man ihm in Berlin zuteilwerden ließ. Jetzt ist der Präsident nur noch eine Marionette, was man ihn in aller Deutlichkeit spüren lässt.
Hitlers Gefolge belegt die
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