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Geschichte handelt? Anhand der Seiten, die ihr gewidmet sind? Ganz so simpel ist die Sache nicht, hoffe ich.
Wenn ich über das Buch spreche, an dem ich gerade schreibe, bezeichne ich es immer als «mein Buch über Heydrich». Dennoch soll Heydrich nicht die Hauptfigur meiner Geschichte sein. Schon seit Jahren trage ich die Idee zu diesem Buch mit mir herum und hatte dafür nie einen anderen Titel im Sinn als Operation Anthropoid (und sollte es jemals dazu kommen, dass dieser Titel nicht auf dem Buchumschlag zu lesen ist, wissen Sie, dass ich mich dem Willen des Verlages gebeugt habe, dem der Titel nicht gefiel: klingt zu sehr nach Science-Fiction oder Robert Ludlum …). Jedenfalls ist Heydrich die Zielscheibe des Attentats und nicht derjenige, der die Operation durchführt. Alles, was ich über ihn erzähle, bildet gewissermaßen das Bühnenbild. Doch vom literarischen Standpunkt aus betrachtet muss man zugeben, dass Heydrich eine wunderbare Romanfigur abgibt. Als hätte Dr. Frankenstein höchstpersönlich eine furchterregende Gestalt zur Welt gebracht, die er aus den größten Monstern der Literatur zusammengeschustert hat. Nur dass es sich bei Heydrich nicht um ein Papiermonster handelt.
Mir ist wohl bewusst, dass meine beiden Helden auf sich warten lassen. Doch vielleicht hat ihr Zögern auch sein Gutes. Vielleicht sind sie im Moment einfach noch gestaltlos. Vielleicht wird sich die Spur, die sie in der Weltgeschichte und in meinem Gedächtnis hinterlassen haben, umso tiefer in meine Seiten einprägen. Vielleicht ermöglicht ihnen der lange Aufenthalt im Vorzimmer meines Gehirns, ein wenig von ihrer Authentizität wiederzuerlangen, anstatt von mir nur als profanes Abbild dargestellt zu werden. Vielleicht, vielleicht … doch nichts ist mehr sicher! Heydrich beeindruckt mich nicht mehr. Sie sind es, die mich einschüchtern.
Und ich sehe sie vor mir. Oder sagen wir besser: Ich beginne, sie wahrzunehmen.
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An der westlichen Grenze der Slowakei liegt die mir wohlbekannte Stadt Košice (sprich Koschize). In dieser Stadt habe ich meinen Militärdienst geleistet: Als französischer Leutnant oblag mir die Aufgabe, den jungen angehenden Offizieren der slowakischen Luftwaffe meine Muttersprache beizubringen. Aus dieser Stadt stammt Aurélia, die hübsche junge Frau, mit der ich fünf Jahre glühender Leidenschaft verlebte – das ist jetzt fast zehn Jahre her. Nebenbei bemerkt gibt es in dieser Stadt die größte Ansammlung hübscher Mädchen, die ich jemals auf der Welt gesehen habe, und wenn ich von «hübsch» spreche, meine ich: von atemberaubender Schönheit.
Ich wüsste nicht, warum es 1939 anders gewesen sein sollte. Wie eh und je schlendern hübsche Mädchen die langgezogene Hauptstraße Hlavná ulica entlang, die das Herz der Stadt bildet. Sie wird von prächtigen barocken Bauwerken in Pastellfarben flankiert, und in der Mitte erhebt sich eine sagenhafte gotische Kathedrale. Allerdings sind 1939 auch Männer in deutschen Uniformen unterwegs, die den vorüberziehenden Mädchen einen diskreten Gruß zuwerfen. Die Slowakei mag zwar ihre Unabhängigkeit bekommen haben – für den Preis des Verrats an Prag –, doch sie steht unter der freundschaftlichen und vereinnahmenden Vormundschaft Deutschlands.
Während Jozef Gabčik die gigantische, pulsierende Straße hinaufgeht, sieht er sicherlich genau das Gleiche: hübsche Mädchen und deutsche Uniformen. Und wie bereits seit vielen Monaten hängt der kleingewachsene Mann seinen Gedanken nach.
Vor zwei Jahren verließ er Košice, um in Žilina in einer Chemiefabrik zu arbeiten. Heute kehrt er zurück, um sich mit seinen Freunden des 14. Infanterieregiments zu treffen, in dem er drei Jahre lang gedient hat. Der Frühling lässt sich Zeit, und unter Gabčiks Stiefeln knirscht hartnäckig der Schnee.
Die Cafés in Košice sind selten direkt zugänglich. Meist durchquert man zunächst eine Vorhalle oder muss eine Treppe hinauf- oder hinuntersteigen, bis man schließlich in einen gutgeheizten Raum gelangt. In einem dieser Café-Räume trifft Gabčik am Abend seine alten Kameraden. Bei einem Glas Zlatý Bažant (ein slowakisches Bier, dessen Name «goldener Fasan» bedeutet) sitzen sie zusammen und freuen sich über ihr Wiedersehen. Doch Gabčik ist nicht gekommen, um einen kurzen Höflichkeitsbesuch abzustatten. Er möchte wissen, wo die slowakische Armee steht, welche Haltung sie gegenüber dem Meister-Kollaborateur Tiso und seiner Regierung vertritt.
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