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Theresienstadt war kein Ghetto wie alle anderen.
Das Konzentrationslager war ein Durchgangslager – im Klartext: Die dort zusammengepferchten Juden warteten darauf, Richtung Osten deportiert zu werden, nach Polen oder in die baltischen Länder. Der erste Konvoi nach Riga startete am 9. Januar 1942: an Bord tausend Menschen, von denen hundertfünf überleben werden. Eine Woche später folgt der nächste Konvoi, ebenfalls nach Riga, tausend Menschen, sechzehn Überlebende. Dritter Konvoi im März, tausend Menschen, sieben Überlebende. Vierter Konvoi, tausend Menschen, drei Überlebende. Die erschreckende Steigerung der Todesrate auf fast hundert Prozent ist an sich kaum noch überraschend, bloß ein weiteres Zeichen für die vielgerühmte deutsche Gründlichkeit.
Während die Deportationen weiterlaufen, dient das Ghetto von Theresienstadt als Propagandalager, als Muster-Ghetto für ausländische Beobachter. Die Insassen des Ghettos haben während der Besuche des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes gute Miene zum bösen Spiel zu machen.
In Wannsee erklärt Heydrich, dass die deutschen Juden, die im Ersten Weltkrieg eine Auszeichnung erhielten, die Juden über fünfundsechzig Jahre und einige prominente Juden, die aufgrund ihres Bekanntheitsgrades nicht einfach von einem Tag auf den anderen spurlos verschwinden können, unter akzeptablen Bedingungen in Theresienstadt unterzubringen seien. Damit soll das Ansehen der Deutschen, das unter der monströsen nationalsozialistischen Politik ein wenig gelitten hat, aufpoliert werden.
Damit Theresienstadt als Aushängeschild dienen kann, muss der Anschein erweckt werden, dass die Juden dort anständig behandelt werden. Daher erlauben die Nazis den Juden des Ghettos, ein relativ umfangreiches Kulturprogramm auf die Beine zu stellen: Aufführungen und Kunst werden ermöglicht – allerdings unter den wachsamen Augen der SS-Männer, von denen die Insassen zu allem Überfluss dazu angehalten werden, ihr strahlendstes Lächeln zur Schau zu stellen. Die Abgeordneten des Roten Kreuzes sind während ihrer Inspektionsbesuche angenehm überrascht. Sie verfassen positive Berichte über das Ghetto, die kulturellen Aktivitäten und den Umgang mit den Gefangenen. Von den hundertvierzigtausend Juden, die während des Kriegs in Theresienstadt leben, werden nur siebzehntausend überleben. Kundera schreibt dazu:
«Die Juden von Theresienstadt machten sich keine Illusionen: Sie lebten im Vorzimmer des Todes; ihr kulturelles Leben diente der Nazi-Propaganda als Alibi. Hätten sie deshalb auf dieses zerbrechliche und pervertierte Privileg verzichten sollen? Ihre Antwort darauf war glasklar. Ihr Leben, ihr Schaffen, ihre Ausstellungen, ihre Musik-Quartette, ihre Liebschaften, jede Facette ihres Lebens besaß eine ungleich größere Bedeutung als die schäbige Schmierenkomödie ihrer Kerkermeister. Dies war die einzige Ebene, auf der sie überhaupt noch etwas gewinnen konnten.» Er fügt hinzu: «Und daher sollten wir nicht über sie urteilen.»
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Präsident Beneš ist sehr besorgt. Man braucht keinen Geheimdienst, um das herauszufinden. London beurteilt unablässig den Einsatz der unterschiedlichen Geheimbewegungen der okkupierten Länder für das Kriegsgeschehen. Während Frankreich der Aktion «Barbarossa» das Eingreifen kommunistischer Gruppierungen verdankt, ist die Aktivität der tschechischen Widerstandsbewegung praktisch gleich null. Seit Heydrich die Zügel des Landes in den Händen hält, haben sich die tschechischen Untergrundbewegungen nacheinander aufgelöst, und der klägliche Überrest ist größtenteils von der Gestapo durchsetzt. Diese Leistungsschwäche bringt Beneš in eine äußerst unangenehme Situation: Momentan will England selbst im Fall eines Sieges nichts davon wissen, das Münchner Übereinkommen in Frage zu stellen. Das bedeutet, dass die Tschechoslowakei selbst bei einem siegreichen Kriegsausgang nur in den Grenzen zusammengesetzt werden kann, die nach September 1938 festgesetzt wurden, abgeschnitten von den Sudetendeutschen, weit entfernt von der ursprünglichen territorialen Gesamtheit.
Es muss etwas geschehen. Oberst Moravec lauscht den demütigenden Anschuldigungen seines Präsidenten. Unentwegt reiten die Engländer darauf herum, welche Apathie die Tschechen an den Tag legen, während die Franzosen, Russen und selbst Jugoslawen Patriotismus beweisen! So kann es nicht mehr weitergehen.
Doch wie vorgehen? Die Desorganisation der inneren
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