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HHhH

HHhH

Titel: HHhH Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Binet Laurent
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man sie irgendwo im Reich oder irgendwie einsetzt und nun dafür sorgt, dass sie keine Kinder mehr kriegen, weil man sie in diesem Raum nicht weiter entwickeln will. […]
    Dann bleiben übrig die gutrassig Schlechtgesinnten. Das sind die gefährlichsten, denn das ist die gutrassige Führerschicht. Wir müssen hier überlegen, was wir bei diesen machen. Bei einem Teil der gutrassig Schlechtgesinnten wird nur eines übrigbleiben, dass wir versuchen, sie im Reich in einer rein deutschen Umgebung anzusiedeln, einzudeutschen und gesinnungsmäßig zu erziehen oder, wenn das nicht geht, sie endgültig an die Wand zu stellen; denn aussiedeln kann ich sie nicht, weil sie drüben im Osten eine Führerschicht bilden würden, die sich gegen uns richtet.»
    Ich schätze, damit dürfte er alle hypothetischen Szenarien berücksichtigt haben. Man beachte die diskrete und euphemistische Metonymie «im Osten», deren wahre Bedeutung seinem Publikum noch nicht bekannt ist: Polen, genauer gesagt: Auschwitz.

120
    Am 3. Oktober kommentiert die freie tschechoslowakische Presse in London den Regierungswechsel in Prag mit dem Titel:
    «Massenmord im Protektorat»

121
    Einer von Heydrichs Männern arbeitet seit bereits zwei Jahren vor Ort: Nachdem Eichmann in Österreich so gute Arbeit geleistet hatte, wurde er 1939 mit der Einrichtung einer Auswanderungsbehörde in Prag nach dem Modell der Wiener Zentralstelle für jüdische Auswanderung beauftragt, bevor man ihn zum Leiter des Referats für Räumungsangelegenheiten und der Reichszentrale für jüdische Auswanderung beim RSHA in Berlin ernannte. Heute kehrt er auf Weisung seines Chefs nach Prag zurück. Doch während der letzten zwei Jahre haben sich die Dinge deutlich verändert. Wenn Heydrich von nun an eine Konferenz einberuft, geht es um die «Endlösung der Judenfrage» und nicht mehr um «Emigration». Die Lage ist wie folgt: Im Protektorat leben 88 000 Juden, davon 48 000 in der Hauptstadt, 10 000 leben in Brno, 10 000 in Ostrava. Heydrich sieht in Terezín das ideale Übergangslager. Eichmann macht sich Notizen. Der Transport kann schnell durchgeführt werden, täglich können zwei bis drei Züge jeweils 1000 Menschen befördern. Nach altbewährter Methode wird jedem Juden ein Gepäckstück mit persönlichen Dingen von bis zu fünfzig Kilo zugestanden, das nicht mit einem Schloss gesichert sein darf. Um den Deutschen die Arbeit zu erleichtern, sollen die Juden zudem Lebensmittelvorräte für zwei bis vier Wochen mitbringen.

122
    Über das Radio und die Zeitungen gelangen die Neuigkeiten aus dem Protektorat bis nach London. Unteroffizier Jan Kubiš lauscht dem Bericht eines befreundeten Fallschirmspringers über die Lage im Land. Mord, Mord, Mord. Nichts als Mord. Seit Heydrichs Ankunft ist jeder Tag ein Trauertag. Es wird erhängt, gefoltert, deportiert. Welche monströsen Details sind Kubiš heute wieder zu Ohren gekommen und haben ihn in tiefe Betroffenheit gestürzt? Mechanisch schüttelt er den Kopf und wiederholt ein ums andere Mal: «Wie ist das nur möglich? Wie ist das nur möglich? …»

123
    Ich war schon einmal in Terezín. Ich wollte den Ort sehen, an dem Robert Desnos gestorben ist. Er kehrte lebend aus Auschwitz zurück, war zwischenzeitlich in Buchenwald, Flossenburg und Flöha. Als Terezín am 8. Mai 1945 befreit wurde, war er bereits an Typhus erkrankt, den er sich während des kräftezehrenden Marsches dorthin eingefangen hatte. Am 8. Juni 1945 starb er so, wie er gelebt hatte: in Freiheit – in den Armen eines jungen tschechischen Krankenpflegers und einer jungen tschechischen Krankenschwester, die sich für Surrealismus und sein Schaffen begeisterten. Noch eine Geschichte, über die ich am liebsten ein ganzes Buch schreiben würde: über die zwei jungen Menschen namens Josef und Alena …
    Terezín, zu Deutsch Theresienstadt, war eine «befestigte Stadt, die zum Schutz vor den Begehrlichkeiten des Preußenkönigs Friedrich II. in Böhmen erbaut und zu Ehren der österreichischen Kaiserin benannt wurde». Welche Kaiserin? Ich weiß es nicht, ich habe mir den Satz von Pierre Volmer geliehen, weil er mir so gut gefällt. Er war Desnos’ Weggefährte und während seiner letzten Tage an seiner Seite. Maria Theresia? Natürlich: Theresienstadt, die Stadt von Theresia.
    Im November 1941 verwandelt Heydrich die Stadt in ein Ghetto und die Kaserne in ein Konzentrationslager.
    Doch das ist nicht annähernd alles, was es über Theresienstadt zu sagen

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