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Widerstandsbewegung macht jegliche Bemühungen, ihre Aktivitäten auszuweiten, von vornherein zunichte. Die Lösung liegt demnach vor Ort, in England. Ich male mir aus, wie Beneš Moravec mit strahlenden Augen von seiner Idee erzählt und abschließend mit der Faust auf den Tisch schlägt: eine spektakuläre Aktion gegen die Nazis – ein unter äußerster Geheimhaltung vorbereiteter Mordanschlag, durchgeführt von seinen Fallschirmkommandos.
Moravec kann Beneš’ Gedankengang nachvollziehen: Da die innere Widerstandsbewegung dem Tode geweiht ist, muss Hilfe von außen geschickt werden – gutausgebildete, motivierte bewaffnete Männer sollen eine Mission erfüllen, deren Auswirkungen zugleich international und national sind. Tatsächlich gilt es einerseits, die Alliierten zu beeindrucken, ihnen zu zeigen, dass man noch auf die Tschechoslowakei zählen kann, und andererseits, den tschechischen Patriotismus neu zu entfachen, um den Widerstand aus seiner Asche auferstehen zu lassen. Ich schreibe «tschechischer Patriotismus», bin jedoch sicher, dass Beneš «tschechoslowakischer» sagte. Weiterhin bin ich sicher, dass er ausdrücklich Weisung an Moravec gab, für die Operation einen Tschechen und einen Slowaken auszuwählen. Zwei Männer, die die untrennbare Einheit der zwei Völker symbolisieren.
Doch bevor es dazu kommt, muss das Zielobjekt ausgewählt werden. Augenblicklich fällt Moravec sein Namensvetter Emanuel Moravec ein, der eifrigste Minister in puncto Kollaboration, das tschechische Pendant zum französischen Laval. Doch er ist eine zu lokale Figur, die internationale Auswirkung wäre gleich null. Karl Hermann Frank ist schon ein wenig bekannter, seine Grausamkeit und sein Hass auf die Tschechen sind legendär, außerdem ist er Deutscher und noch dazu bei der SS. Er gäbe ein gutes Ziel ab. Doch wenn man schon einen Deutschen auswählt, der zudem bei der SS ist …
Ich versuche, mir vorzustellen, was die Aussicht, Heydrich ermorden zu lassen, insbesondere für Oberst Moravec als Chef des tschechischen Geheimdienstes bedeutet haben muss – Heydrich, den Obergruppenführer und stellvertretenden Reichsprotektor von Böhmen und Mähren, den Henker seines Volkes, den Schlächter von Prag und Chef des deutschen Nachrichtendienstes; in letztgenannter Funktion sozusagen sein Kollege.
Ja, warum eigentlich nicht Heydrich? Wennschon, dennschon …
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Ich habe ein großartiges Buch gelesen, in dem das Attentat auf Heydrich den Hintergrund bildet. Es handelt sich um den Roman Mendelssohn auf dem Dach des tschechischen Autors Jiří Weil.
Der Titel des Romans bezieht sich auf die Handlung des ersten Kapitels, das eine fast schon komische Geschichte erzählt: Auf dem Dach der Prager Oper sind tschechische Arbeiter damit beschäftigt, eine Statue von Mendelssohn zu demontieren, weil der Komponist Jude ist. Die Anweisung dazu erteilte der kürzlich zum stellvertretenden Reichsprotektor von Böhmen und Mähren ernannte Heydrich, der für klassische Musik schwärmt. Doch auf dem Dach befindet sich eine ganze Reihe Statuen, und Heydrich hat nicht gesagt, bei welcher es sich um Mendelssohn handelt. Abgesehen von Heydrich scheint keiner, nicht einmal die Deutschen, imstande, den Komponisten auszumachen. Doch niemand würde es wagen, Heydrich damit zu behelligen. Also wählen die deutschen SS-Männer, die die Operation überwachen, kurzerhand die Statue mit der größten Nase aus, schließlich sucht man ja einen Juden. Doch fatalerweise machen sich die Tschechen daran, Wagners Statue zu demontieren!
In letzter Sekunde erkennt man die verheerende Verwechslung, und zehn Kapitel später wird die Mendelssohn-Statue schließlich niedergerissen. Doch trotz ihrer Bemühungen, sie nicht zu beschädigen, brechen die tschechischen Arbeiter ihr beim Abbau eine Hand ab. Diese ulkige Anekdote basiert auf einer wahren Begebenheit: Mendelssohns Statue wurde tatsächlich 1941 demontiert, wobei ihr, wie im Roman, eine Hand abbrach. Ich frage mich, ob die Hand inzwischen wieder angeklebt wurde. Auf jeden Fall bilden die von einem Zeitzeugen geschilderten Irrwege des bedauernswerten SS-Mannes, der mit dem Abriss betraut war, einen Höhepunkt der für die tschechische Literatur typischen burlesken Dichtung: immer durchsetzt von diesem einzigartigen Humor, scheinheilig-liebenswürdig und subversiv, in der Tradition von Jaroslav Hašek, dem unsterblichen Verfasser der Abenteuer des braven Soldaten Schwejk.
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Moravec beobachtet das
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