Hibiskusblüten
ihren Augen lagen dunkle Schatten.
Ich schob ihr meinen Besuchersessel zurecht und fragte, ob sie wegen der Hibiskusblüten komme.
Sie setzte sich. Ihre Finger trommelten nervös auf der schwarzen Krokodiltasche. Sie schaute mich nicht an.
„J-ja“, sagte sie zögernd, „ja — oder nein. Ich weiß es selbst nicht.“
Ich bot ihr von meinen Besucherzigaretten an und gab ihr Feuer. Sie rauchte hastig, in kurzen Zügen, wie es Frauen manchmal tun, die wenig rauchen.
„Wie geht es Mister Pickles?“ fragte ich,
„Lungenentzündung“, sagte sie, „Genau wie meine Mutter. Doktor Howard und Doktor Cassner waren gestern nachmittag da. Sie rieten, ihn ins Krankenhaus zu bringen, aber er will nicht. Er hat sehr hohes Fieber.“
„Und Sie sind nicht bei ihm?“ fragte ich.
Es war, als liefe ihr ein Schauer über den Rücken.
„Nein“, flüsterte sie, „nein, ich bin nicht dort. Eine Pflegerin ist da. Ich habe Angst, Mister Stretcher — ich habe fürchterliche Angst.“
„Wovor denn? Was ist geschehen?“
„Ich weiß es nicht“, sagte sie. Ihr gequälter Blick streifte mich kurz und irrte dann ziellos in meinem Büro umher. „Ich weiß es wirklich nicht“, fuhr sie fort, „ich spüre nur, daß — daß — uns — ein Unheil droht. Ja, ein Unheil. Sie müssen mir helfen!“
„Gern“, sagte ich, „aber dazu müssen Sie mir mehr erzählen. Wovor fürchten Sie sich, Mrs. Buttom? Woraus schließen Sie, daß Ihnen ein Unheil droht?“
„Wenn ich das wüßte!“ stöhnte sie. „Meine Mutter war immer gesund, sie war nie krank, so lange ich denken kann. Natürlich, ab und zu hatte sie einen Schnupfen, der drei Tage dauerte. Das war aber auch alles. Und dann waren die Blüten verschwunden, und sie bekam diese Lungenentzündung. Ich konnte es mir nie erklären, warum sie daran sterben mußte. Ihr Herz war gut, und andere Leute sterben doch auch nicht gleich an Lungenentzündung.“
Sie blickte mich ratlos an.
„Sie machten sich also Gedanken über den Tod Ihrer Mutter?“
Sie nickte.
„Ja. Ich sprach sogar mit Onkel Joshua darüber, der aber anderer Ansicht war. Obwohl er meine Mutter gern hatte, fand er an ihrem Tode nichts Ungewöhnliches.“
Ich bot ihr noch eine Zigarette an, aber sie wollte nicht mehr rauchen.
Ohne sie zu fragen, goß ich ein Glas Whisky ein und reichte es ihr.
„Trinken Sie einen Schluck, Mrs. Buttom. Das wird Ihnen guttun.“
Mir schien, als folge sie meinem Rat wie ein Automat. Sie trank in kleinen, mechanischen Schlückchen, bis das Glas leer war. Dann stellte sie es auf meinen Schreibtisch und wischte mit ihrem kleinen Finger ein Tröpfchen vorsichtig vom Rand. Sie war mit ihren Gedanken woanders.
„Haben Sie damals gleich an die Hibiskusblüten gedacht?“ fragte ich. „Fanden Sie damals schon irgendeinen Zusammenhang?“
„Nein, gar nicht. Ich fand das so unwichtig, ob ein paar Blüten verschwunden waren oder nicht. Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob ich einen Verdacht hatte, weil mich das Ganze einfach nicht interessierte. Wir dachten ja alle nicht mehr dran, als meine Mutter krank wurde und starb.“
„Und diesmal?“ forschte ich. „Was dachten Sie sich diesmal?“
„Zunächst auch nichts“, sagte sie. „Es kam mir zwar merkwürdig vor, daß auch in diesem Jahre die Blüten verschwunden waren, und vielleicht brachte mein Unterbewußtsein dieses Ereignis mit dem Tode meiner Mutter schon in einen Zusammenhang, aber es kam noch nicht an die Oberfläche.“
Sie schwieg und saß da, als lausche sie in sich hinein. Ich ließ sie in Ruhe, und erst, als ich ihr das Glas wieder vollschenkte, blickte sie mich wie erwachend an.
„Dann aber plötzlich“, fuhr sie fort, „hatte ich das Gefühl, als bereite sich in unserem Hause ein neues Unglück vor. Dieses Gefühl verschwand jedoch wieder, als ich mir klarmachte, daß es sicherlich Isabel war, die die Blüten genommen hatte. Nun haben mir aber Eve und Isabel — das war nach Ihrem Besuch, Mister Stretcher —, den wahren Sachverhalt erzählt. Von diesem Augenblick an weiß ich, daß der Tod umgeht. Als nächsten holt er sich jetzt Onkel Joshua, dann vielleicht mich oder Eve. Ich habe das Kind fortgebracht, fort von diesem Unglückshaus.“
„Haben Sie inzwischen nochmals mit Ihrem Onkel über die Blüten gesprochen?“
„Ja, gestern. Nachdem die beiden Ärzte Lungenentzündung festgestellt hatten und ihn ins Krankenhaus bringen wollten.“
„Und?“ fragte ich gespannt. „Was hat er
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