Hier kommt Hoeneß!
auch für den TSG Ulm rechnete sich der Abgang, denn der Verein erhielt eine Transfersumme von 40 000 Mark. So war Hoeneß zum ersten Mal mit der Businessseite des Fußballs in Berührung gekommen. Erst als er 1972 Nationalspieler wurde und dann einen Profivertrag unterschrieb, brach er das Studium ab. Beides konnte er nicht unter einen Hut bringen.
1970 war er also ausgezogen, um München zu erobern – mit 50 Mark Taschengeld im Gepäck von den Eltern. Den Kontakt nach Hause, in die Heimat ließ Hoeneß jedoch nie abreißen. Vier Jahre nach seinem Abitur schickte er seinem ehemaligen Klassenleiter Steinle während der WM 1974 eine Postkarte mit allen Unterschriften der Nationalmannschaft. Zwei Jahre lang hatten sie da schon keinen Kontakt mehr gehabt. Steinle war überwältigt. Nicht nur das Elternhaus, auch die persönliche Eitelkeit trieb Hoeneß immer wieder in die Heimat. Noch lange nachdem er seinen Vertrag beim FC Bayern unterschrieben hatte, fuhr er regelmäßig zu seinem Stammfriseur nach Ulm. Im Laufe der Zeit wurden die Besuche beim Friseur wie bei den ehemaligen Freunden, Mitschülern und Mitspielern der TSG Ulm allerdings seltener.
Als im Frühjahr 2009 ein schon versprochenes Testspiel gegen die Bayern-Profis nicht zustande kommt, spendet Hoeneß spontan 100 000 Euro. Auch komplette Trikotsätze sind bei der TSG Ulm ab und an in der Post. »Wenn ich etwas brauche, schreibe ich dem Uli einen Brief«, erzählt Ulms Jugendleiter Roland Schmidle, »da ist er stets sehr hilfsbereit, weil ihm sein Verein noch immer am Herzen liegt.« Für die aktuellen Partien in der Allianz Arena schickt Hoeneß immer wieder mal 30 oder 40 Karten für die Jugendspieler des Vereins.
Er, der Ulmer Junge, hat seine Wurzeln und die Menschen seiner Heimat nie vergessen. Heute lebt er jedoch am Tegernsee und ist ein großer Fan der bayerischen Kultur, insbesondere von Gerhard Polt. Für Hoeneß steht fest: »Ich bin mit Leib und Seele Bayer und Münchner geworden. Früher hätte ich mir vorstellen können, auch noch mal für eine begrenzte Zeit im Ausland zu leben, heute weiß ich: Hier geh ich nicht mehr weg.«
5. Learning by doing
Die Spinnereien, die Träume bei Wein und Tapas von einer Münchner Version eines Real Madrid, hatten plötzlich realistische Formen angenommen. Mit Uli Hoeneß und Paul Breitner war Mitte des Jahres 1979 ein Duo bereit, einen gesamten Verein zu übernehmen. Der FC Bayern erlebte innerhalb von nur zwölf Monaten seinen bis dato größten Umbruch.
Zwei Jahre zuvor schon war der Mann, der Mitte der 70er-Jahre gemeinsam mit Trainer Dettmar Cramer das uneingeschränkte Sagen gehabt hatte, nach New York ausgewandert: Franz Beckenbauer versuchte einen Neustart bei Cosmos New York. Eingefädelt hatte den Deal Robert Schwan, in Personalunion Bayerns und Beckenbauers Manager, doch dieser wollte sich auch an der Ostküste der USA um den Superstar kümmern.
Nun, im Dezember 1978, musste der gleichermaßen glück- wie planlose Trainer Gyula Lorant gehen. Nach einem verheerenden 1 : 7 gegen Fortuna Düsseldorf, bei dem man wirklich einmal davon sprechen kann, dass die Spieler gegen ihren Trainer spielten, ersetzte ihn sein bisheriger Assistent Pal Csernai, ebenfalls ein Ungar. Er war der Wunschtrainer der Mannschaft, sprich der Favorit von Breitner. Und auch von Hoeneß, obwohl dieser zu jenem Zeitpunkt als Leihspieler beim 1. FC Nürnberg spielte, dennoch aber ganz engen Kontakt zu seinem Kumpel Paul hielt.
Bayerns Präsident Wilhelm Neudecker, ein konservativer Bauunternehmer aus der niederbayerischen Provinz Straubing, sah den beliebten Csernai aber nur als Zwischenlösung. Heimlich arbeitete er daran, Max Merkel, der mit dem TSV 1860 München 1966 Meister geworden und als unerbittlicher Schleifer mit diktatorischen Zügen bekannt war, als Bayern-Trainer zu engagieren. Als die Mannschaft von dem Plan erfuhr, rebellierte sie, da alle Merkel ablehnten. Am 19. März 1979 trat Neudecker daraufhin entnervt zurück. Ein einmaliger Vorgang – wie auch das nächste Bundesligaspiel fünf Tage später. Ausgerechnet mit 7 : 1 gewannen die Revoluzzer bei Borussia Mönchengladbach. Es war ein Triumph des Mannschaftsgeistes über ein immer noch mit Stars gespicktes Team. Noch in der Kabine wurde beschlossen, nach der Ankunft in München »einen saufen zu gehen«, wie Breitner meinte, weil »wir einem gewissen Herrn gezeigt haben, dass es auch ohne Diktatur geht und ohne dass wir wie Idioten behandelt
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