Hier und jetzt und Himbeerkuchen: Roman (German Edition)
als mein Blick am üppigen Vorgarten hängen bleibt. Er kommt mir seltsam vertraut vor. Der Rittersporn, die Stockrosen, die Margeriten … die Kornblumen.
Niklas hat meinen Strauß aus diesem Vorgarten!
Deshalb sah der so wild und frisch gepflückt aus.
Leicht verstört steige ich Niklas hinterher.
Nun gut. Er hat nicht behauptet, der Strauß sei gekauft. Und ein gestohlener Strauß ist doch eigentlich viel romantischer.
Ich sollte nur Emma auf keinen Fall von diesem Detail berichten.
Nicht auszudenken, was sie daraus machen würde!
Niklas schließt die schlichte Wohnungstür auf, und wir treten in einen schmalen, düsteren Flur. Er ist so eng, dass ich kaum an Niklas vorbeisehen kann. Neben den Geräuschen eines Fernsehers höre ich die Stimme eines älteren Mannes aus einem Zimmer vor uns. Er ruft irgendetwas von pünktlichem Mittagessen. Und klingt alles andere als freundlich.
Ich bleibe stehen.
Niklas dreht sich zu mir um. Er lächelt aufmunternd.
»Mein Vater«, flüstert er munter. »Es ist kurz nach halb zwölf, und er hat wie immer schreckliche Angst, dass sein Essen nicht rechtzeitig auf dem Tisch steht!«
Okay … offenbar handelt es sich beim barschen Ton des Vaters lediglich um eine harmlose Marotte, die mit Humor genommen werden sollte.
Ich nicke verständnisvoll.
»Komm!« Niklas legt seinen Arm auf meine Schulter und tritt mit mir in das Zimmer, aus dem die Stimme kam.
Hier ist es viel heller, denn der Raum geht nach hinten raus und ist nicht wie der Eingang halb unterirdisch angelegt. Es ist augenscheinlich das Wohn- und Esszimmer der Nienabers. Die großen Fenster und eine Terrassentür lassen den Sonnenschein über die klobigen beigen Polstermöbel und die wuchtige Essecke fluten und ermöglichen einen Ausblick in den Garten. Obwohl noch kein Essen auf dem Tisch steht, riecht es nach Kohl und Kartoffeln.
Niklas’ Vater sitzt bereits am Esstisch und sieht von dort aus fern. Er scheint von der Unterhaltungssendung gefesselt, in der drei barfüßige Kandidaten sich mühen, auf einer eingeseiften Plastikplane ein Wettrennen zu gewinnen.
»Hallo, Papa!«, ruft Niklas und lässt seine Hand auf meiner Schulter.
Sein Vater dreht sich überrascht um.
Er sieht Niklas kein bisschen ähnlich. Sein mächtiger Bierbauch liegt wie ein Medizinball auf seinen schmalen Beinen und seine Augen sind mit Sicherheit die kleinsten, die ich je gesehen habe.
Er stellt per Fernbedienung den Ton ein wenig leiser.
»Hallo, Junge«, begrüßt er Niklas und lacht erstaunlich herzlich. Seine Augen verschwinden dabei fast im Fleisch seines birnenförmigen Gesichtes.
Er sieht mich kurz an, und sein Lachen verebbt.
»Wer ist denn die junge Dame?«, fragt er Niklas.
»Das ist Iris, Papa.«
»So, so. Iris«, sagt Niklas’ Vater. Als ob etwas mit meinem Namen nicht in Ordnung wäre.
Er macht keinerlei Anstalten aufzustehen, um mir die Hand zu geben. Langsam wünschte ich, Niklas Vater hätte das gleiche gute Benehmen wie sein Sohn. Aber vielleicht ist das zu viel erwartet. Vielleicht hat Niklas irgendwo die Gelegenheit gehabt, zu lernen, wie man sich benimmt. Und sein Vater eben nicht. Wahrscheinlich kann man ihm keinen Vorwurf machen.
Kurz entschlossen setze ich ein freundliches Lächeln auf – einfach dasselbe wie bei schwierigen Besuchern im Ordnungsamt – und mache mit ausgestreckter Hand ein paar beherzte Schritte auf Vater Nienaber zu.
»Wie schön, Sie kennenzulernen, Herr Nienaber!«, sage ich möglichst mitreißend.
Herr Nienaber senior blickt verdutzt zu mir auf, als ich direkt vor ihm haltmache. Er legt langsam die Fernbedienung aus seiner Rechten, ergreift meine Hand und schüttelt sie knapp.
»Sie sind wohl eine von diesen Emanzen, was?«, fragt er und greift wieder nach der Fernbedienung.
»Wie bitte?«
»Ach, Papa!«, ruft Niklas, als solle der seine grundsätzlich prima Späßchen ausnahmsweise mäßigen.
»Guck sie doch an!«, raunzt Niklas’ Vater.
Was Niklas tatsächlich tut. Er lächelt mir zu, als laufe es gar nicht so schlecht zwischen mir und seinem Vater.
»Diese kurzen Haare. Diese Kleidung! So lässt sich doch keine richtige Frau blicken!«, erklärt der ältere Nienaber seinem Spross. »Mannweib nenn ich so was.«
Ich bin vollkommen sprachlos.
Was für ein furchtbarer Mensch!
»Papa!«, ruft Niklas. Einigermaßen verzweifelt diesmal. Aber nicht annähernd so schockiert, wie man es erwarten könnte.
Er wirft mir einen um Verständnis flehenden Blick zu.
Ich bin
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