High Fidelity (German Edition)
nur einen Stift in die Hand nehmen zu müssen. Ich ziehe die Platten aus den Regalen, stapele sie überall im Wohnzimmer auf dem Boden, suche Revolver und fange an, und als ich fertig bin, durchströmt mich ein ganz neues Selbstgefühl, denn das ist schließlich das, was mich ausmacht. Ich finde es schön, sehen zu können, wie ich in fünfundzwanzig Schritten von Deep Purple zu Howling Wolf gelangt bin. Die Erinnerung daran, während der gesamten Zeit eines erzwungenen Zölibats »Sexual Healing« gehört zu haben, quält mich nicht länger, und die Erinnerung daran, daß ich in der Schule einen Rockclub gegründet hatte, damit ich und meine Kumpel aus der Abschlußklasse uns treffen und über Ziggy Stardust oder Tommy sprechen konnten, bringt mich nicht mehr in Verlegenheit.
Aber was mir wirklich gefällt, ist das Gefühl der Sicherheit, das ich durch mein neues Ordnungssystem gewinne. Ich habe mich komplizierter gemacht, als ich eigentlich bin. Ich habe ein paar tausend Schallplatten, und man müßte schon ich selbst oder mindestens Doktor der Flemingologie sein, um irgendeine wiederzufinden. Wenn ich, sagen wir, Blue von Joni Mitchell spielen möchte, muß ich mich daran erinnern, daß ich sie im Herbst 1983 für jemanden gekauft habe und es mir dann aus Gründen, auf die ich hier wirklich nicht eingehen möchte, anders überlegte. Tja, ihr wißt von all dem nichts und wärt aufgeschmissen, nicht wahr? Ihr müßtet mich bitten, sie für euch auszugraben, und aus irgendeinem Grund finde ich das ungeheuer beruhigend.
Etwas Verrücktes passiert am Mittwoch. Johnny kommt rein, singt »All Kinds Of Everything«, versucht sich eine Handvoll Plattencover zu grabschen. Und wir führen gerade unser kleines Ladenballett auf, als er sich mir entwindet, hochschaut und fragt: »Bist du verheiratet?«
»Bin ich nicht, Johnny. Du?«
Er lacht in meine Achselhöhle, ein furchterregendes, irres Glucksen, das nach Alkohol, Tabak und Erbrochenem riecht und in einer Schleimeruption endet.
»Denkst du, ich würde so beschissen dastehen, wenn ich eine Frau hätte?«
Ich antworte nicht – ich konzentriere mich ganz darauf, ihn mit einem Tango zum Ausgang zu tanzen –, aber Johnnys nackte und triste Selbsteinschätzung weckt Barrys Aufmerksamkeit – vielleicht ist er immer noch sauer, weil ich ihm gestern den Marsch geblasen habe – und er lehnt sich über die Ladentheke. »Das würde auch nichts nutzen, Johnny. Rob hat eine wunderbare Frau zu Hause, und schau ihn dir an. Er sieht furchtbar aus. Schlechter Haarschnitt. Pickel. Scheußlicher Pullover. Grauenhafte Socken. Der einzige Unterschied zwischen dir und ihm ist, daß du nicht jede Woche die Miete für einen Laden zahlen mußt.«
So was muß ich mir von Barry dauernd anhören. Heute allerdings kann ich es nicht ertragen, und ich werfe ihm einen Blick zu, der ihn zum Schweigen bringen soll, von ihm aber als Aufforderung, mich weiter zu ärgern, interpretiert wird.
»Rob, ich will nur dein Bestes. Das ist der mieseste Pullover, den ich je gesehen habe. Ich habe noch nie so einen miesen Pullover an irgendwem gesehen, mit dem ich zu tun habe. Er ist eine Schande für die Menschheit. Den würde noch nicht mal David Coleman in »A Question of Sport« tragen. John Noakes › Anmerkung würde ihn wegen Geschmacksverirrung festnehmen lassen. Val Doonican › Anmerkung würde einen Blick darauf werfen und …«
Ich schleudere Johnny raus auf den Bürgersteig, knalle die Tür zu, rase durch den Laden, packe Barry am Aufschlag seiner braunen Wildlederjacke und erkläre ihm, daß ich ihn umbringen werde, wenn ich mir jemals im Leben wieder auch nur ein Wort dieses leeren, erbärmlichen, hirnlosen Geschwafels anhören muß. Als ich ihn loslasse, zittere ich vor Wut.
Dick kommt aus dem Lager und hüpft auf und ab.
»He, Jungs«, flüstert er. »He.«
»Was bist du, ein bescheuerter Irrer?« fragt mich Barry. »Wenn die Jacke zerrissen ist, Freundchen, wirst du das teuer bezahlen.« Genau das sagt er, »teuer bezahlen«. Großer Gott. Und dann stürmt er aus dem Laden.
Ich gehe ins Lager und setze mich auf die Stehleiter, und Dick drückt sich im Eingang herum.
»Bist du in Ordnung?«
»Klar. Tut mir leid.« Ich wähle den direkten Weg. »Es ist nämlich so, Dick, ich habe keine wunderbare Frau zu Hause. Sie ist weg. Und falls wir Barry je wiedersehen, könntest du ihm das vielleicht sagen.«
»Sicher mach ich das, Rob. Kein Problem. Überhaupt kein Problem. Ich erzähl's ihm,
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