High Fidelity (German Edition)
sobald ich ihn sehe«, erklärt Dick.
Ich sage gar nichts. Ich nicke nur.
»Ich muß … ich muß ihm sowieso noch was sagen, also gar kein Problem. Ich erzähl ihm einfach von, du weißt schon, Laura, wenn ich ihm das andere erzähle«, erklärt Dick.
»Prima.«
»Natürlich erzähle ich ihm deine Angelegenheit zuerst, bevor ich meine erzähle. Meine ist nicht so wichtig, nur über jemand, der morgen abend im Harry Lauder spielt. Also erzähle ich es ihm vorher. Gute Nachricht und schlechte Nachricht, in der Art«, erklärt Dick.
Er lacht nervös. »Oder besser, schlechte Nachricht und gute Nachricht, denn er mag diesen Jemand, der da im Harry Lauder auftritt.« Ein entsetzter Ausdruck huscht über sein Gesicht. »Ich meine, er mochte auch Laura, so hab' ich das nicht gemeint. Und er mag dich. Ich meinte nur …«
Ich erkläre ihm, daß ich weiß, was er gemeint hat, und bitte ihn, mir eine Tasse Kaffee zu machen.
»Sicher. Klar. Hör mal, Rob. Möchtest du … darüber reden, oder so?«
Einen Moment lang bin ich fast versucht, es zu tun: Ein intimes Gespräch mit Dick wäre ein einmaliges Erlebnis. Aber dann sage ich ihm, es gäbe nichts zu reden, und einen Moment lang glaube ich, er würde mir um den Hals fallen.
W ir drei gehen ins Harry Lauder. Mit Barry ist alles klar. Dick erklärte ihm die Sachlage, als er in den Laden zurückkam, und beide geben sich die größte Mühe, sich um mich zu kümmern. Barry hat mir ein umfangreich kommentiertes Compilation-Tape gemacht, und Dick formuliert jetzt jede Frage vier-oder fünfmal um, statt der üblichen zwei-oder dreimal. Und sie haben mehr oder weniger darauf bestanden, daß ich zu diesem Gig mitkomme.
Das Lauder ist ein riesengroßer Pub mit einer so hohen Decke, daß sich der Zigarettenqualm wie eine Zeichentrickwolke über den Köpfen ballt. Es ist schäbig und zugig, aus den Sitzbänken hat man die Füllungen gerissen, das Personal ist mürrisch, das Stammpublikum ist entweder furchterregend oder bewußtlos, die Toiletten sind feucht und stinkig, am Abend gibt's nichts zu essen, der Wein ist lachhaft schlecht, das Bitter hat zuviel Kohlensäure und ist viel zu kalt. Mit anderen Worten, ein stinknormaler Pub im Londoner Norden. Wir kommen nicht so oft hierhin, obwohl er gleich die Straße runter ist, aber die Bands, die hier gewöhnlich spielen, gehören zu der Sorte katastrophaler Zweitliga-Punkbands, die man auf keinen Fall sehen möchte, und wenn man die Hälfte seines Einkommens dafür geben müßte. Manchmal aber, wie zum Beispiel heute abend, haben sie einen obskuren amerikanischen Folk-oder Country-Künstler, dessen gesamte Fangemeinde im VW-Käfer anreisen könnte. Der Pub ist fast zu einem Drittel voll, was ziemlich viel ist, und als wir reingehen, weist uns Barry auf Andy Kershaw › Anmerkung und einen Kerl hin, der für Time Out › Anmerkung schreibt. Hipper kann es im Lauder nicht zugehen.
Die Frau, wegen der wir gekommen sind, heißt Marie LaSalle, sie hat ein paar Soloplatten auf Indie-Labels veröffentlicht, und Nanci Griffith hat mal einen ihrer Songs gecovert. Dick sagt, sie wohne jetzt hier. Er hat irgendwo gelesen, daß sie glaubt, England sei empfänglicher für ihre Art von Musik, was vermutlich heißt, daß wir eher freundliches Desinteresse als offene Feindseligkeit an den Tag legen. Es sind jede Menge männlicher Singles da – Single nicht im Sinne von »unverheiratet«, sondern Single im Sinne von »keine Freunde«. In einer solchen Gesellschaft wirken wir drei – ich übellaunig und einsilbig, Dick nervös und schüchtern, Barry umgänglich wie selten – wie ein ausgewachsener feucht-fröhlicher Betriebsausflug.
Es gibt keine Vorgruppe, nur eine miese PA, aus der geschmackvoller Country-Rock dudelt, und die Leute stehen mit ihren Pints in der Hand herum und lesen die Handzettel, die ihnen beim Reinkommen aufgedrängt wurden. Marie LaSalle kommt um neun auf die Bühne (wenn man das so nennen will – ein paar Meter vor uns befinden sich eine kleine Plattform und ein paar Mikrophone). Um fünf nach neun bin ich zu meiner ausgesprochenen Verwirrung und Beschämung in Tränen aufgelöst, und die Gefühlsleere, in der ich die letzten paar Tage gelebt habe, ist verschwunden.
Es gibt viele Songs, um die ich einen großen Bogen gemacht habe, seit Laura weg ist, aber der Song, mit dem Marie LaSalle beginnt, der Song, bei dem ich weinen muß, zählt nicht dazu. Der Song, bei dem ich weinen muß, hat mich nie zuvor zum Weinen
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