High Fidelity (German Edition)
gebracht. Ehrlich gesagt, mußte ich bei dem Song, bei dem ich jetzt weinen muß, normalerweise kotzen. Er war ein Hit, als ich auf dem College war, und Charlie und ich pflegten die Augen zu rollen und uns einen Finger in den Hals zu stecken, wenn irgendwer – und zwar unweigerlich ein Geographiestudent oder ein Mädchen, das Grundschullehrerin werden wollte (und ich verstehe nicht, warum man sich Snobismus vorwerfen lassen muß, wenn man nichts als die reine Wahrheit sagt) – ihn an der Musikbox drückte. Der Song, bei dem ich weinen muß, ist Marie LaSalles Version von Peter Framptons »Baby, I Love Your Way«.
Man stelle sich vor, mit Barry und mit Dick in seinem Lemonheads-T-Shirt zusammenzustehen, eine Coverversion eines Peter-Frampton-Stücks zu hören und loszuflennen! Peter Frampton! »Show Me The Way«! Diese Miniplifrisur! Dieses dämliche Tütendings, in das er immer geblasen hat, um diesen Donald-Duck-Sound mit der Gitarre hinzukriegen! Frampton Comes Alive , an der Spitze der amerikanischen Rock-Charts für siebenhundertzwanzig Jahre oder so, das wahrscheinlich jeder hirntote, zugekokste Schwachkopf in LA zu Hause hat! Ich akzeptiere durchaus, daß ich dringenden Bedarf an Symptomen habe, die mir begreifen helfen, wie traumatisch die jüngsten Ereignisse für mich waren, aber müssen es derart extreme Symptome sein? Hätte Gott sich nicht mit einer kleinen Abscheulichkeit begnügen können, einem Diana-Ross-Hit oder einer Elton-John-Komposition etwa?
Und damit ist es nicht getan. Marie LaSalles Version von »Baby, I Love Your Way« (»Ich weiß, daß ich diesen Song nicht mögen sollte, aber ich tu's«, sagt sie am Schluß mit frechem Lächeln) stürzt mich in zwei einander offensichtlich widersprechende Zustände: a) Ich vermisse Laura plötzlich mit einer Heftigkeit, von der ich in den letzten vier Tagen nichts bemerkt habe, und b) ich verliebe mich in Marie LaSalle.
Solche Sachen passieren. Sie passieren zumindest Männern. Oder diesem bewußten Mann. Manchmal. Es ist nicht leicht zu erklären, warum oder wie man sich gleichzeitig in zwei verschiedene Richtungen gezogen fühlen kann, und offensichtlich ist ein gewisses Maß an verträumter Irrationalität eine Grundvoraussetzung dafür. Aber es hat auch seine innere Logik. Marie ist hübsch, mit diesem typisch amerikanischen, kaum merklichen Silberblick – sie sieht aus wie eine etwas molligere Susan Dey, nach Partridge Family und vor LA Law – und wenn es schon eine unerwiderte Liebe auf den ersten Blick sein muß, kann man es weit schlechter treffen. (Eines Samstagmorgens wachte ich auf, machte den Fernseher an und fand mich in Liebe zu Sarah Greene von Going Live entflammt, eine Leidenschaft, über die ich damals absolutes Stillschweigen wahrte.) Und sie ist charmant – soweit ich das beurteilen kann – und hat durchaus Talent: Als sie erst mal Peter Frampton hinter sich hat, hält sie sich an ihre eigenen Stücke, und die sind gut, anrührend, witzig und sensibel. Mein Leben lang wollte ich einmal mit einer Musikerin ins Bett, nein, eine Beziehung haben: Ich wollte, daß sie zu Hause Songs schreibt und mich nach meiner Meinung fragt, vielleicht einen unserer privaten Scherze in den Text einbaut, daß sie mir in den Linernotes dankt, vielleicht sogar ein Foto von mir auf dem Innencover bringt, irgendwo im Hintergrund, und ich wollte ihr bei ihren Auftritten aus dem Hintergrund, vom Bühneneingang aus zusehen. (Obschon ich im Lauder, wo es keinen Bühneneingang gibt, eine dumme Figur machen würde. Ich stünde völlig frei und für jedermann sichtbar da.)
Das mit Marie ist also nur zu verständlich. Das mit Laura ist etwas schwieriger zu erklären, aber ich denke, es ist folgendes: Sentimentale Musik hat diese großartige Gabe, einen irgendwohin zurückzuversetzen, während sie einen gleichzeitig vorantreibt, so daß man zur selben Zeit wehmütig und optimistisch wird. Marie ist der optimistische, nach vorn gerichtete Part – vielleicht nicht notwendigerweise gerade sie, aber jemand wie sie, irgend jemand, der eine Wende in mein Leben bringen kann. (Genau das ist es: Ich glaube immer, Frauen könnten mich retten und einem besseren Leben zuführen, mich umkrempeln und erlösen.) Und Laura ist der rückwärtsgewandte Part, der Mensch, den ich zuletzt geliebt habe, und wenn ich diese süßen, klebrigen Gitarrenakkorde höre, lasse ich die Zeit neu aufleben, die wir miteinander verbracht haben, und ehe ich mich versehe, sitzen wir zusammen im
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