High - Genial unterwegs an Berg und Fels
schrillen alle Alarmglocken.
Wir drehten also um, marschierten zurück und fanden das Lager. Wir waren eine Stunde zu weit gegangen.
Als wir am nächsten Tag zur Militärstation kamen, mit unseren Eseln und Rucksäcken deutlich als Expedition zu erkennen, begriffen wir, dass hier wirklich nicht lange gefackelt wird. Die Soldaten waren bis an die Zähne bewaffnet mit Kalaschnikows und Raketenwerfern und ähnlichem Zeug. Und sie erzählten uns, warum: Im Jahr 2000 hatten Terroristen den Militärstützpunkt angegriffen und anschließend bei ihrer Flucht amerikanische, ukrainische und deutsche Geiseln genommen. Elf Soldaten waren dabei getötet worden. Die Kletterer entkamen, sie hatten mehr Glück als Verstand gehabt. Ein Armeehubschrauber hatte dann die geflüchteten Deutschen mit Terroristen verwechselt und eine Rakete auf sie abgefeuert, sie Gott sei Dank aber verfehlt.
»Okay«, dachte ich mir, »vielleicht doch keine schlechte Idee, dass wir gestern Abend umgedreht haben.«
Wir zeigten zuerst das Permit, dann zeigte Stef seine Muskeln. Er war mit nacktem Oberkörper marschiert, und die Soldaten bewunderten seine definierten Muskelpartien.
»Gladiator, Gladiator«, riefen sie und boten ihm an, in eine Uniform zu steigen, aber Stef wollte lieber klettern gehen.
Wir marschierten an diesem Tag noch ein gutes Stück weiter ins Kara-Su, das »Schwarzwasssertal«. Der Weg war nicht mehr als ein Saumpfad, von dem es steil über eine Schotterflanke in den Fluss hinunterging. Jede Expedition rechnet damit, dass ein oder zwei Esel abstürzen und samt Ausrüstung vom Fluss aus dem Tal geschwemmt werden. Unsere Esel kamen durch. Wir übernachteten noch einmal, aber als wir aufwachten, sahen wir schon die Wände. Und was für Wände!
Wir gingen sofort los, um uns den Fels anzuschauen. Die anderen schlugen unterdessen das definitive Basecamp auf. Rund um uns ein sattes, wunderschönes Grün. Je höher du kommst, desto grüner wird die kirgisische Landschaft. Unten ist es so heiß, dass alles verbrennt. Auf der Höhe ist das Klima versöhnlich. Wir kamen uns vor wie auf einer Almwiese in den Alpen – nur dass die Granitwände von einer ganz anderen Dimension waren als daheim. Ein Bächlein schlängelte sich durch die Wiese. Granitblöcke lagen herum. Ein paar Bäume spendeten Schatten. Ein Paradies. Stef sagte, er habe noch nie in seinem Leben ein so schönes Basecamp gesehen.
Die Westwand des Asan ist ungefähr 800 Meter hoch und ziemlich glatt. Wir suchen uns eine Linie im linken Teil der Wand. Am nächsten Tag tragen wir das Gepäck hinauf. Nina und ich klettern drei Seillängen.
Die erste Länge ist leicht. Die zweite ist schon echt schwierig. Am Anfang kann man kaum Sicherungen legen, und im oberen Teil der Länge ist eine zehn Meter hohe Felsschuppe, der man nicht ansieht, ob sie halten wird oder nicht. Ich habe plötzlich das wenig inspirierende Bild vor Augen, wie es mich samt der ganzen Schuppe runterhaut und mir die Schuppe das Seil abschlägt.
Trotzdem klettere ich an der linken Seite entlang bis an ihr oberes Ende, lege aber keine Sicherung, um im Fall der Fälle das Seil nicht zu gefährden. Oben will ich Stand machen und setze einen Bohrhaken in die Wand oberhalb der Schuppe. Ich schlage den Haken in das Loch, das ich mit der Bohrmaschine gebohrt habe, und denke: »Endlich wieder eine Sicherung, der du trauen kannst.«
Als ich mich hineinhängen will, merke ich, dass der Haken langsam herausrutscht. Ich ziehe noch einmal mit der Hand an.
Draußen ist er.
Keine Ahnung, was falsch ist, der Haken oder die Wand. Ich setze noch zwei, die zwar etwas besser sind, aber mein Vertrauen ist erschüttert.
Die dritte Länge ist nur mehr technisch zu klettern. Ich schlage Normalhaken, setze Klemmkeile, und selbst mit dem restlichen Techno-Equipment sind die Stellen nicht zu bewältigen. Als letzte Maßnahme setze ich Bohrhaken.
Etwa 20 Meter über dem Stand halte ich mich mit beiden Händen an einer Schuppe fest und merke, dass ich weder vor noch zurück kann. Ich versuche, die Beine nach oben zu bringen, einen Hook zu setzen. Aber das bringt nichts. Ich hänge am Fels und verhungere.
Bevor ich mich in einen sinnlosen Kräfteverschleiß flüchte, lasse ich los.
Falle.
Hoffe, dass die Haken halten.
Sie halten. Aber sie sind nach dem Abflug ein paar Millimeter weiter draußen als davor.
Ich will nicht aufgeben, aber wie Robert richtig be merkt: »Wo keine Griffe sind, kann man nicht klettern.«
Ich fliege noch
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