High Heels und Gummistiefel
friedlich im blassen Sonnenschein da. Da sie ein wenig fror, sah sie sich nach etwas zum Überziehen um. Eine zusammengefaltete, karierte Wolldecke war aufmerksamerweise auf dem Sessel deponiert worden, für den Fall, dass sie sie nachts nötig gehabt hätte. Sie schüttelte sie aus und legte sie sich in einer Art Indianerstil um die Schultern. Die Decke war vielleicht ein bisschen kurz, aber absolut ausreichend.
Es war durchaus möglich, dass Tom noch schlief. Sie wusste nicht mehr, wo sie ihre Uhr hingelegt hatte, und hatte keine Ahnung, wie spät es war. Egal. Leise tappte sie ins oberste Stockwerk hinauf. Seine Schlafzimmertür stand weit offen. Er war nicht da. Sie ging nach unten in die Küche. Dort war Tom auch nicht, doch es waren Anzeichen zu sehen, dass hier vor Kurzem Tee getrunken worden war, und auf der Tischplatte lagen ein paar Krümel. Isabelle befühlte die Teekanne. Sie war noch warm. Warum nicht schnell draußen nachsehen? In ihrem ungemein klarsichtigen Zustand kam es ihr nicht in den Sinn, nach oben zu gehen und sich
anzuziehen. Das hätte eine titanische Anstrengung bedeutet. Es sah nicht so als, als wäre es draußen besonders kalt. Sie musterte die Reihe schlammverschmierter Gummistiefel neben der Tür und entdeckte ein Paar, das ungefähr ihre Größe zu haben schien. Warum nicht einfach hineinschlüpfen und so hinausgehen, wie sie war?
Langsam schritt sie den Gartenweg hinunter und blieb hin und wieder stehen, um die Rinde eines Baumes zu betasten oder Blätter zwischen den Fingern zu reiben. Es hatte etwas Magisches, dachte Isabelle, wie still und warm es in Toms Garten war. Es war wie ein mildes Mikroklima, das nichts mit dem winterlichen Wetter zu tun hatte, welches anderswo herrschte. Ein Stück weiter entfernt konnte sie das Gewächshaus sehen. Und dort war der Gartenschuppen, den er vor Kurzem in einem hübschen Blaugrauton gestrichen hatte.
Die Tür stand halb offen. Im Innern des Schuppens war es sehr sauber, mit geschrubbtem Fußboden und tiefen Holzregalen voller Gartenutensilien, die sie nicht zu benennen wusste, an den Wänden. Mysteriöserweise lag ein leichter, aber durchdringender Geruch nach Äpfeln in der Luft. Am anderen Ende des Schuppens saß Tom unter einem Fenster und war anscheinend gerade dabei, eine Pflanze einzutopfen.
»Hallo«, sagte Isabelle, nachdem sie ihn einen Moment betrachtet hatte.
»Oh, hi«, sagte er und drehte sich um. »Hast du gut geschlafen?«
»Ich habe seit Monaten nicht mehr so gut geschlafen. Bist du schon lange auf?«
»Nicht besonders.« Tom sah zu, wie sie näher kam, sah die Stiefel und die um ihren Körper geschlungene Decke. Er lächelte sie an. »Du siehst aus, als ob du eigentlich auf einem Pferd sitzen und eine Armee anführen solltest – eine Kriegerkönigin. Mit einem
Speer in der Hand, oder vielleicht auch mit einer Armbrust. Ich glaube, das da könnte durchaus das Schönste sein, was ich jemals an dir gesehen habe.«
Direkt vor und über Tom zu stehen und ihm in die Augen zu blicken hatte dieselbe Wirkung auf Isabelle wie ein Schwall reiner Sauerstoff; ihr Kopf wurde noch klarer. Ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, warf sie die Wolldecke ab und ließ sie zu ihren Füßen zu Boden fallen.
»Weißt du, ehrlich gesagt«, meinte Tom bedächtig, zog erst die Handschuhe aus, nahm dann die Brille ab und legte beides auf den Tisch, »ich nehm’s zurück. Das hier ist sogar noch schöner.«
Er zog sie auf seinen Schoß und küsste sie, strich mit der Hand leicht über ihre Brüste, ihren Bauch, ihre Schenkel. Schließlich lösten sie sich aus dem Kuss und sahen einander an.
»Ich war so vollkommen, vollkommen dumm«, sagte Isabelle. »Verzeih mir.«
»Überhaupt nicht. Es ist doch völlig normal, vor übermächtigen Gefühlen zuerst einmal Angst zu haben. Daran muss man sich erst gewöhnen.« Er hielt sie mit einem Arm um die Taille gefasst, beugte sich hinunter und zog ihr mit der anderen die Stiefel aus. »Versteh mich nicht falsch, ich möchte auf keinen Fall, dass du glaubst, diese ›Nackt-mit-Gummistiefeln‹-Nummer macht mich nicht wahnsinnig an. Schließlich bin ich Gärtner. Aber es besteht keine Notwendigkeit, meinetwegen des Guten zu viel zu tun. Und du hast sehr hübsche Füße.«
»Ich hatte Angst vor dir«, sagte Isabelle und küsste langsam und mit Bedacht jeden Teil seines Gesichts. »So was Dämliches. Wieso hattest du keine Angst?«
»Ich hatte gar keine Zeit, Angst zu haben.«
Zusammen erhoben sie
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