High Heels und Gummistiefel
inspizierte gerade mit gefurchter Stirn ein weißes T-Shirt.
»Mmm?«
»Octave. Der wird nie zur Ruhe kommen. Er wird einfach für alle Zeiten ein Weiberheld bleiben.«
Mit dem T-Shirt in der Hand drehte Marie-Laure sich um. »Vielleicht hast du recht, Daisy«, antwortete sie zerstreut. »Anouk, wie funktioniert das hier? Ich glaube, hier stimmt was nicht.«
»Ah, ja, das Stück ist wirklich eine Herausforderung«, bemerkte Anouk und nickte.
»Nein, schauen Sie doch! Die haben vergessen, ein Loch für den Kopf zu machen.«
»Nicht vergessen. Das ist Absicht. Wenn Sie genau hinsehen«, fuhr Anouk fort und zeigte auf den Stoff, »dann ist hier eine Naht, wie eine Spirale. Sehen Sie?«
»Ja?«
»Wenn man das Teil wirklich anziehen will, schneidet man sich entlang dieser Linien sein eigenes Kopfloch.«
»Das sieht superschön unregelmäßig aus«, erklärte Daisy verzückt. »Und am Schluss hat man dann so einen tollen verdrehten kleinen Stoffstreifen neben dem Hals runterhängen. Sie ist ja so ein Genie!«
Marie-Laure machte ein erstauntes Gesicht. »Man muss es also selber zuschneiden? Und dann sieht es aus, als ob... man es selbst zugeschnitten hätte? Und manche Leute würden das Ding kaufen, aber nicht um es anzuziehen, sondern nur... um es zu haben? Sie machen Witze, ja?«
»Ah, mais non«, entgegnete Anouk ungerührt. »Diese spezielle Designerin kreiert nur einige wenige Stücke, verstehen Sie? Sie ist bei Sammlern sehr begehrt. Normalerweise verkaufe ich das meiste von ihren Sachen auf meiner Website, noch bevor die Ware im Laden landet.«
»Ich verstehe. Und was kostet zum Beispiel dieses T-Shirt?«
»Sechshundertfünfundneunzig Euro.«
» Sechshundert...« Marie-Laures Stimme erstarb, und sie legte das T-Shirt wieder ins Regal.
»Bei Savage – dieser besagten Designerin – ist es so«, erklärte Daisy freundlich, »dass sie sich als Künstlerin betrachtet. Sie verachtet Geld.«
»Ah, ja, évidemment«, sagte Marie-Laure. »Siebenhundert Euro ist wohl immer noch billiger als ein Picasso, nehme ich an.«
»Dann hast du also Octave überhaupt nicht mehr gesehen, Daisy?«, erkundigte sich Anouk mit einer Nebenbemerkung bei ihrer Freundin.
»Nein. Das hat dazu geführt, dass ich ein paar Partys verpasst habe, aber ich war stattdessen mit Raoul unterwegs, also... Aber ehrlich gesagt, ich glaube, jetzt würde es mir gar nichts mehr ausmachen, Octave zu begegnen. Weißt du, ich bin wirklich darüber weg.«
»C’est très bien. Ich bin sehr stolz auf dich.«
»Und was ist mit dir, Marie?«
»Was?«
»Was macht dein Liebesleben?«
Plötzlich sah Marie-Laure ganz seltsam aus, fast schuldbewusst. »Ich? Ich bin mit niemandem zusammen.«
Daisy lachte entzückt auf. »Das glaube ich dir nicht! Du siehst aus, als hättest du etwas zu verbergen. Raus damit!«
»Aber nein! Es gibt niemanden, außer... Ach, es ist zu kompliziert. Ich kann noch nicht darüber reden.«
»Wieso? Oh, er ist verheiratet, nicht wahr? Du bist ja so was von ungezogen!«
»Nein, nein, er ist nicht verheiratet, aber... Anouk«, sagte Marie-Laure und zog etwas von der Kleiderstange, »kann ich das hier mal anprobieren, bitte?«
»Gute Nummer, Marie. Aber ich krieg’s schon noch aus dir raus,
das weißt du ja. Es ist nicht fair, dass du Geheimnisse hast, wenn ich dir alles über mein Leben erzähle.«
Nachdem sie Anouks gesamten Bestand methodisch durchgesehen hatte, peilte Maire-Laure ganz gezielt das eine Kleidungsstück an, das ihr wirklich gefiel. Dieses erwies sich, was vielleicht nicht überraschend war, als dezentes Kleines Schwarzes, aus Stoff, mit konventioneller Ärmelzahl und einem klassischen Ausschnitt, der sich als Teil des Designs bereits an Ort und Stelle befand.
»Aber das ist ganz und gar nicht das abgedrehte, exquisite Teil, das ich dir gern verpassen wollte«, klagte Daisy enttäuscht. »Das sieht noch nicht mal besonders nach Designerklamotte aus.«
»Ja, eben«, antwortete Marie-Laure, warf abermals einen kurzen Blick auf den Pelzmantel im Schaufenster und schauderte ein wenig.
»Und was ist mit deinem geheimnisvollen Lover? Möchtest du ihn denn nicht mal mit etwas Ungewöhnlichem überraschen, mit etwas Aufregenderem? Eine ganz neue Marie-Laure?«
»Nein«, sagt Marie-Laure mit gesenktem Blick. »Ich weiß, was ihm gefällt. Klassische Sachen, Sachen, die er versteht.«
Nachdem sie sich von Anouk verabschiedet hatten, machten sich die beiden Freundinnen auf den Rückweg in Richtung
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