Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
Nicolas sah der jungen Frau tief in die Augen. Sollte er es wagen? Er trat auf sie zu und warf der schnarchenden alten Dame einen Seitenblick zu.
»Ich habe noch etwas für Euch, Isabelle.«
»Ihr habt mir doch bereits ein wunderbares Geschenk gemacht!«
»Das war der Grund, aus dem ich Euch unbedingt heute Abend noch sehen wollen… Alles Gute zum Geburtstag!«
Zugleich kramte er ungeschickt in einer Innentasche seines Rocks und zog ein Stoffsäckchen aus changierender Seide hervor, das mit einem Samtband verschlossen war.
»Oh! Was ist das?«
Isabelle vermochte ihre Aufregung nicht zu verbergen.
»Schaut selbst nach.«
Sie nahm das Säckchen, öffnete es und konnte angesichts des wunderschönen Gegenstands, der vor ihren Augen lag, einen Aufschrei nicht unterdrücken: Es war ein hübscher kleiner Flakon aus bernsteinfarbenem Glas, der in ein Netz aus Goldfäden eingesponnen war. Nicolas nahm ihr das Fläschchen aus den Händen, entfernte die Versiegelung aus Wachs und zog behutsam den Glaspfropfen heraus, der mit einer irisierend schimmernden Perle geschmückt war. Ein zarter Dufthauch stieg auf, und Isabelles Nasenflügel bebten vor Vergnügen.
»Darf ich?«
Die junge Frau nickte und hielt ihm ihr Handgelenk hin. Der Applikator aus Glas fühlte sich auf ihrer Haut kühl an und rief einen köstlichen Schauer hervor, der ihm nicht entging. Nicolas nahm das zarte Handgelenk zwischen die Finger, roch daran und erinnerte sich an den Ballabend, an dem er Isabelle zum ersten Mal gesehen hatte. Er war wie geblendet von dem göttlichen Wesen gewesen, das am anderen Ende von Madame de Beaubassins Musiksalon auf einem Kanapee saß, so dass er Joseph Dufy-Charest, der sich langatmig über die wirtschaftliche Lage der Kolonie ausließ, nur mit halbem Ohr gelauscht hatte. Charest, dem seine mangelnde Aufmerksamkeit nicht entgangen war, folgte seinem Blick.
»Ihr scheint mit Euren Gedanken anderswo zu sein, mein Freund. Vielleicht am anderen Ende des Salons?«
Abrupt rief Nicolas sich zur Ordnung. Wie ein ertapptes Kind stotterte er ein paar Worte der Entschuldigung und versuchte ungeschickt, wieder auf das Thema ihrer Unterhaltung zurückzukommen.
»Sie heißt Isabelle Lacroix.«
Nicolas unterbrach sich mitten im Satz.
»Wie bitte?«
»Die junge Frau, die Ihr seit geraumer Zeit so bewundernd anschaut, heißt Isabelle Lacroix. Sie ist die Tochter von Charles-Hubert Lacroix aus Québec, Kaufmann und Ratgeber des Königs.«
»Aha!«, meinte Nicolas und richtete den Blick erneut auf die junge Frau, die ihn diskret musterte. »Ich bemerke sie zum ersten Mal. Ist sie …«
»Ob sie verlobt ist?«
Einen Moment lang blieb Nicolas der Mund offen stehen.
»Und, ist sie es?«
Der andere lachte und schüttelte den Kopf.
»Aber nein, mein Freund! Ihr habt Euch die schönste Frucht erwählt, die in den Obstgärten von Québec wächst. Ah, was für eine Frucht! Noch grün, gewiss, aber sie verheißt, mit Anmut zu reifen. Glücklich der Mann, der sie als Erster pflückt.«
»Sie ist eine verbotene Frucht, Joseph!«, schaltete sich Étienne Charest, der zu ihnen getreten war, brüsk ein. »Ihre Mutter wacht über sie wie eine Löwin über ihr Junges. Wehe dem Manne, der es wagt, sie zu berühren, ohne zuvor um ihre Hand angehalten zu haben. Das Bett, in das er sie legt, muss ein Ehebett sein.«
»Welch ein Glück, dass ihre Mutter, diese fromme Dame, sie nicht gezwungen hat, den Schleier zu nehmen, um sich Verdienste im Himmel zu erwerben. Stattdessen setzt sie auf ihren jüngsten Sohn Paul, der ihr einen Platz an der Seite Gottes reservieren soll. Also wirklich, könnt Ihr Euch diesen Hals unter schwarzem Tuch versteckt vorstellen, oder dieses seidige Blondhaar unter einer Nonnenhaube?«
Das Konzert war zu Ende, und die junge Frau war den Gästen in den Ballsaal gefolgt, wobei sie nahe … ganze nahe an ihm vorbeigegangen war.
Er vermochte den Blick nicht mehr von ihr zu wenden. Sie bewegte sich so voller Anmut, dass sie über das Parkett zu schweben schien. Ihr Kleid aus rosafarbenem Moiré flüsterte im Vorbeigehen süße Worte, und ihre wiegenden Hüften luden ihn ein, ihr in ihrem parfümierten Kielwasser zu folgen. Nicolas’ Herz pochte heftig. Ein Strauß weißer Blumen…
»Geranien, Jasmin und Rosen. Ihr Duft erinnert mich an Euch …«, murmelte der junge Mann und bemerkte plötzlich, dass er immer noch Isabelles Hand hielt. »Besser gesagt, Ihr erinnert mich an diese Blumen.«
»Nicolas …
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