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Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie

Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie

Titel: Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Marmen
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lichterfüllte Fläche zwischen den Bäumen hindurchschien. Alexander betrachtete ihre schlanke Gestalt, bis sie hinter den Bäumen verschwunden war, dann kümmerte er sich um das Feuer. Der beißende Geruch von geschmolzenem Baumharz stieg ihm in die Nase. Mathias Makons und Nonyacha besserten das Rindenkanu aus.
    Alexander hatte noch nicht entschieden, was er tun würde, sobald sie das Fort erreichten. Wie ihr Bruder Tsorihia berichtet hatte, lag ihr Vater krank in der katholischen Mission. Sie wollte ihren Gefährten bei sich haben und machte keinen Hehl aus ihrer Absicht, ihn zu heiraten. Gewiss, er wünschte sich auch, mit ihr zu leben und irgendwann eine Familie zu gründen. Aber er schwebte immer noch in Gefahr und wollte nicht, dass die junge Frau zu Schaden kam.
    Die Flammen züngelten zum Himmel auf wie lange, grazile Arme, die die Nacht in eine feurige Umarmung zogen. Alexander dachte an Tsorihia, die zum See gegangen war. Er legte einen letzten Ast ins Feuer und sah die beiden Huronen von der Seite an. Er hatte bemerkt, dass Mathias Makons Tsorihia begehrliche Blicke zuwarf. Alexander biss die Zähne zusammen.
     
    Der See war ruhig. Eine schmale Mondsichel am Himmelszelt warf ihr graues Licht über das unbewegte Wasser. Tsorihia watete durch das Wasser. Leise trat er ans Ufer und bewunderte ihre nackte Haut, auf der Tausende von Wassertropfen wie Diamanten glitzerten.
    Tsorihia fühlte sich beobachtet, drehte sich um und winkte ihn heran. Er zog Hemd und Beinlinge aus und gesellte sich, nur mit seinem Lendenschurz bekleidet, zu ihr. Der Sand unter seinen Füßen fühlte sich weich an, und das Wasser war zwar ein wenig kalt, liebkoste ihm aber angenehm die Beine.
    »Schau doch!«, rief die junge Frau aus und wies nach Norden.
    Er fasste sie um die Taille und drehte sie so herum, dass ihr Gesäß gegen seine Schenkel gedrückt wurde. Dann schlang er die Arme um sie und legte das Kinn an ihre Schulter. So betrachtete er staunend das Schauspiel, das sich ihnen bot: Gleich über den Baumkronen schlängelte sich ein schimmerndes Band über den Himmel.
    »Das Nordlicht …«, murmelte er fasziniert.
    Er hatte selten Gelegenheit gehabt, dieses Naturphänomen zu sehen, genau drei Mal in seinem Leben. Beim ersten Mal war er acht oder neun Jahre alt gewesen. Am Samhain-Abend war das gewesen, zusammen mit seinen Brüdern John und Coll, irgendwo auf einer Bergflanke in Glencoe.
     
    »Das ist er! Da ist er!«, schrie Alexander voller Panik und wollte schon flüchten. »Er kommt uns holen!«
    Nervös versteckte Coll die Flasche Whisky, die er letzte Woche gemaust hatte, unter einem Busch, denn er glaubte, da käme jemand.
    »Aber da ist doch niemand, Alas!«
    »Doch! Die Seelen! Der Schleier, hinter dem die andere Welt liegt! Da ist er!«
    John schüttete sich vor Lachen aus und wies zum Himmel.
    »Da oben, Coll!«
    Coll hatte sich seine Flasche wiedergeholt und schaute zum Sternenhimmel auf. Als er sah, was dort war, entspannte er sich seufzend.
    »Ahhh! Und du glaubst wirklich, das ist der Schleier?«
    »Heute ist doch Samhain, oder?«, meinte Alexander und ließ sich in das rosig überhauchte Gras sinken. »Was soll es denn sonst sein?«
    »Es ist jedenfalls schön«, murmelte John, der nicht mehr lachte. Die drei Brüder saßen eng zusammen und teilten sich den verbotenen Trank, der ihnen Kehle und Magen verbrannte und ihre Augen tränen ließ. Das Schauspiel zog sie in seinen Bann.
    Seine Furcht verflog. Seit frühester Kindheit erzählte man ihnen von diesem Schleier, der die Welt der Toten von der der Lebenden trennte und den die Seelen in der Samhain-Nacht durchschreiten konnten. Alexander hatte ihn sich immer düster vorgestellt und für einen gewöhnlichen Sterblichen undurchdringlich. Er hatte ihn sich ein wenig wie ein Eisengitter gedacht, hinter dem Tausende von grotesken Dämonen mit skelettartigen Armen wimmelten, deren Klauen nach dem schlugen, der ihnen zu nahe kam. Aber das, was er jetzt sah, hatte damit nichts zu tun. Der Schleier besaß nichts von der Kälte und Starre, die er mit dem Tod in Verbindung brachte. Er wirkte eher wie Seide, die von den Atemzügen der Seelen der Verstorbenen bewegt wurde.
    Der Knabe dachte an seine kleine Schwester Sarah und stellte sich vor, wie sie sich mit ihren kleinen weißen Händchen an dem Schleier festhielt, sich mit seinen sanften Bewegungen wiegte und dabei schallend lachte. Alexander schloss die Augen, um sich den Anblick des Schleiers einzuprägen, und

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