Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
Soldaten der Miliz, die dann ja Waffen in den Händen hätten, zum Aufstand anstacheln. Und so unrecht hat er damit nicht. Aus demselben Grund haben sich mehrere englische Händler mit Murray überworfen, der den katholischen Klerus für die Rekrutierungen einspannt. Unter ihnen herrschen Zorn und Groll. Wir wissen ja alle, wie groß der Einfluss der Kirche bei der Bevölkerung ist… Ich ahne nichts Gutes.«
»In Québec weht der Wind der Revolte nicht besonders stark«, meinte Étienne. »Die Rekrutierungslisten sind nicht lang. Aber hier in Montréal ist das etwas ganz anderes. Die kanadischen Händler fürchten die Konkurrenz der Engländer, und das zu Recht! Die Gebiete, die für den Handel zugelassen sind, geben nichts mehr her. Die Händler verlangen die Möglichkeit, neue Wege nach Westen zu öffnen.«
»Und dieser Wind, der über Montréal weht, seid Ihr ihm zufällig begegnet, Monsieur Lacroix?«, erkundigte sich La Corne mit spöttisch verzogenem Mund.
Mit rätselhafter Miene verzog Étienne die Mundwinkel und setzte zu einer Antwort an, während er den Blick über die lärmende Versammlung schweifen ließ. Mit einem Mal erstarrten seine Züge, und er zog die Augen zusammen, um das Gesicht des Mannes, der neben Gabriel Cotté, den er vorhin schon gesehen hatte, stand …
»Aber, aber!«, lachte Blondeau, der Étiennes starre Miene falsch deutete. »Ich glaube, unser Freund Lacroix ist soeben von einer Fee verzaubert worden!«
Der Mann verließ den Saal. Étienne stotterte ein paar entschuldigende Worte und überquerte unter vorwurfsvollen Ausrufen und Blicken entschlossenen Schrittes die Tanzfläche. Isabelle stand da, totenbleich, und starrte immer noch auf die Stelle, wo der Unbekannte verschwunden war, was Étiennes Verdacht bestätigte. Der Mann trat zu Cotté, der sich ebenfalls anschickte, den Saal zu verlassen. Étienne packte ihn am Ellbogen und schob ihn in eine Ecke.
»Na, wenn das nicht mein guter Freund Étienne Lacroix ist? Was führt dich nach Montréal? Gehst du im Mai ins Oberland?«
»Guten Abend, Gabriel. Sag, wer war der Mann, mit dem du noch vor zwei Minuten gesprochen hast?«
Vor Nervosität klang Étiennes Stimme noch heiserer als sonst. Cotté runzelte die Stirn.
»Der Jude? Jacob Solomon. Er …«
»Nein, der andere. Schotte, glaube ich.«
»Ach, der Schotte. Jean l’Écossais. Er arbeitet für Philippe Durand. Warum, willst du Männer anwerben?«
Jean l’Écossais , wiederholte Étienne lautlos. Sollte er sich geirrt haben? Oder der Bursche gebrauchte einen falschen Namen … was sehr gut möglich war. Er drehte sich zu der Stelle um, an der Isabelle vorhin noch wie erstarrt gestanden hatte. Sie war verschwunden. Nein, er hatte sich nicht geirrt. Der Mann, den er gesehen hatte, war wirklich der ehemalige Liebhaber seiner Schwester. Er räusperte sich und trat von einem Fuß auf den anderen, um seiner wachsenden Unruhe Herr zu werden.
»Ähem … nein. Ich meine … vielleicht. Du sagst, er arbeitet für Durand?«
»Er ist sogar sein Vertrauensmann und lebt mit seiner Schwester zusammen, der schönen Marie-Anne. Michauds Witwe, erinnerst du dich?«
»Hmmm … ja. Danke, Gabriel.«
»Ich wollte gerade gehen, um im Gasthaus Dulong ein letztes Glas mit dem Hollandais zu trinken. Willst du dich nicht anschließen?«
»Mit van der Meer?«
»Ja, ich muss ihn sehen. Ich habe jemanden an der Hand, der einen Partner sucht. Diesen Solomon, von dem ich dir erzählt habe.«
»Ein andermal vielleicht. Guten Abend, mein Freund.«
Einige Minuten später stand Étienne auf der dunklen Straße. Frisch gefallener Schnee bedeckte die schlammige Rue Saint-Paul und glitzerte wie ein Bett aus Sternen. Kurz untersuchte er die Spuren in der weißen Schicht. Der Schlamm an den Rändern war noch nicht gefroren. Er folgte ihnen.
In der Nähe des Saint-Martin-Tors, das in die Vorstadt Québec führte, wartete eine Kutsche. Drei Männer disputierten miteinander. Étienne beobachtete sie aus dem Schatten der Stadtmauern heraus. Er erkannte den Mann, der sich l’Écossais nennen ließ. Der Mann stieg in den Wagen. Ein anderer folgte ihm, während der dritte auf den Kutschbock stieg und die Zügel ergriff. Die Peitsche knallte auf die beschneiten Kruppen der Pferde, und man vernahm ein »Hüa!«. Knarrend setzte der Wagen sich in Bewegung, beschrieb eine halbe Drehung und fuhr in Richtung Osten in die Rue Sainte-Marie. Étienne sah dem dunklen Umriss des Wagens nach, bis er vollkommen
Weitere Kostenlose Bücher