Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
Cheannaird! « Psst! Sitz, Kapitän …
Der Südwestwind wehte durch die kahlen Äste der Ahorne und Birken, ließ die Zweige der großen Tannen erbeben und trug den Schnee davon, der dem heranrückenden Frühling immer noch Widerstand leistete. Ein wenig weiter gurgelte das Wasser im Kanal, und man hörte, wie gleichmäßige Tropfen vom Dach ins Regenfass fielen. Ein paar Raben lieferten sich ein Rededuell. Alexander schloss die Augen und holte tief Luft. Ceannard schmiegte die Schnauze an seine Hand, hechelte begeistert und schlug ihm mit dem Schwanz gegen die Beine.
»Na schön, du Dickkopf! Du kannst mitkommen, aber nur unter der Bedingung, dass du nicht dem ersten Hasen, den du witterst, nachrennst, verstanden?«
Die Siedlung, die ihre Bewohner jetzt Red River Hill nannten, lag noch in tiefem Schlaf. Genau die richtige Zeit, um Lavigueur zu suchen und ihn zum Sprechen zu bringen. Alexander näherte sich der Unterkunft der MacInnis-Brüder und spitzte die Ohren. Schnarchgeräusche drangen zu ihm. Mit griffbereitem Gewehr schob er vorsichtig die Tür auf und steckte den Kopf ins Innere. Im Halbdunkel konnte er die Gesichter der Schläfer nicht erkennen. Doch er sah, dass ein Lager aus hastig auf den Boden gehäuften Tannenzweigen in der Nähe des heruntergebrannten Feuers verlassen war. Er schloss die Tür und biss die Zähne zusammen. Lavigueur hatte bestimmt bemerkt, dass er beobachtet wurde, und sich davongemacht.
»Schön, dann kann ich hier nichts mehr ausrichten!«
Enttäuscht trat er den Rückweg zur Hütte an und musterte den Waldrand, der langsam aus dem Nebel auftauchte. Die Kronen der Apfelbäume, die am anderen Ende des Feldes standen, zogen seinen Blick auf sich, und er verhielt den Schritt. Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf. Wenn der Schatz gar nicht an der Stelle lag, die ihm der alte Händler bezeichnet hatte? Wenn van der Meer ihn auch bei dieser Beschreibung seines Verstecks angelogen hatte? Und wenn jemand anderes, vielleicht die Frau des Hollandais’, das Geheimnis gekannt und nach dem Tod des Pelzhändlers die Truhe an sich genommen hatte? Was, wenn… wenn er seine Familie völlig umsonst in Gefahr brachte?
Lange blieb er reglos stehen, betrachtete die sich leise wiegenden Äste und überlegte, dass er dieses verfluchte Gold nie mit eigenen Augen gesehen hatte. Und dann dieser geheimnisvolle Lavigueur … Kannte er die Stelle, an der das Gold versteckt war, ebenfalls? Schon möglich… Er hätte durchaus herkommen können, um es in der Nacht, wenn alles schlief, zu holen, oder? Alexander ging erneut auf die Hütte zu und blieb dann wieder stehen. Er zögerte. Alles in allem war es besser, wenn er nachsah. Anschließend würde er wenigstens schlafen können. Er sah sich nach rechts und links um und schlug dann, Ceannard auf den Fersen, entschlossenen Schrittes den Weg ein, der zum Feld führte. Er musste ein für alle Mal Bescheid wissen.
»Der fünfte Apfelbaum«, erinnerte er sich laut und marschierte über den schlammigen Untergrund. »Der Baum, der der Hütte am nächsten steht…«
Er machte den fraglichen Baum aus und trat, die Hand fest um sein Gewehr gelegt, ohne Zögern darauf zu. Aber dann ging er mit klopfendem Herzen noch einen Moment um ihn herum, ehe er sich schließlich mit dem Rücken an den Stamm lehnte und den Weg, der zum Bach hinunterführte, entlangsah. Zum ersten Mal setzte er van der Meers Anweisungen in die Tat um.
»Fünfzehn Schritte nach Osten …«
Er sah auf seine Mokassins hinunter, konzentrierte sich und zählte die Schritte. Dann blieb er vor einer Gruppe junger Birken stehen. Dort wandte er sich gen Norden und tat noch acht Schritte. Als er aufschaute, sah er, dass er sich vor einer Felsgruppe befand, die von trockenen Stängeln von Goldruten und Seidenpflanzen umgeben war. Er schloss die Augen und erblickte die nächste Anweisung, die sich ihm unauslöschlich eingeprägt hatte. Langsam wandte er sich zur Hütte um. Er dachte an Isabelle, die ruhig in den warmen Laken schlief, und wünschte, er wäre schon wieder bei ihr.
»Zehn Schritte auf die Hütte zu …«
Ceannard knurrte, und Alexander blieb stocksteif stehen. Reglos bleckte der Hund die Lefzen und schaute in die Richtung, aus der Alexander gekommen war.
»Hast du einen Hasen gesehen, a charaid ?«
Nein, wenn das ein Hase gewesen wäre, wäre er schon wie ein Pfeil davongeschossen. Bestimmt war es etwas anderes. Ein Wolf, oder vielleicht ein Bär? Mit einem unguten Gefühl fasste
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