Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
leid.«
»Wenn Euch das Freude macht, komme ich Euch zusammen mit ihr besuchen, sobald ich mich eingerichtet habe …«
»Oh ja!«
»Dann ist das abgemacht. Ich bringe jetzt Euer Gepäck nach oben, und in einer Stunde komme ich und hole die Kleine ab.«
Maggie trat mit dem Kind hinter Mrs. Smith ins Haus und war verschwunden. Coll seufzte. Die strahlende Sonne tauchte die Häuserfassaden in ein so grelles Licht, dass er die müden Augen halb schloss. Er ließ den Blick über den Marktplatz schweifen und betrachtete die Landmarken, zwischen denen er sich einst bewegt hatte; die Kirche Notre-Dame-des-Victoires, die Apotheke von Monsieur Fornel, die Werkstatt des Segelmacher-Meisters Charest … Er erforschte Québec, das aus seiner Asche auferstanden war, und immer mehr Erinnerungen stiegen in ihm auf. Peggy hätte es hier gut gefallen. Sie hätte gelernt, diese Stadt zu lieben, die er nie wirklich verlassen hatte. Fünf Jahre waren seit Kriegsende vergangen, und endlich war er zurück…
Zwei englische Offiziere passierten ihn und rempelten den alten Mann an, der ihn begleitete. Dieser begann zu schimpfen und bückte sich nach seinem Stock, der ihm aus der Hand gefallen war. Coll stürzte zu ihm.
»Vater? Geht es dir gut?«
»Ja doch! Aber diese Schwachköpfe schauen nicht, wohin sie gehen!«
Zornig biss Duncan Coll die Zähne zusammen und sah den beiden Offizieren mit finsterem Blick nach, bis sie um eine Straßenecke verschwanden.
»Ich habe Hunger!«
Wie zur Antwort knurrte im gleichen Moment Colls Magen.
»Beeil dich, mein Junge! Erledige deine Arbeit, und dann lass uns einen Ort suchen, an dem wir uns den Magen füllen können. In einer Stunde müssen wir schon wieder zurück sein. Ich bin mir sicher, dass Mrs. Smith, dieser Drache, die Kleine auf ihrer Vordertreppe aussetzen wird, sobald Maggie sie gestillt hat. Was für eine Welt! In den Highlands wäre so etwas nicht passiert.«
»Andere Länder, andere Sitten, Vater …«
»Aber die Frau ist doch Schottin, oder?«
»Hier zählt nur der Geldbeutel. Ob Schotte, Engländer oder Franzose, darauf achtet niemand. Man interessiert sich mehr dafür, was der Mensch in der Tasche hat. Wir sind in Amerika, Vater.«
Duncan setzte sich auf die Treppe und verzog das Gesicht. Sein Bein schmerzte scheußlich. Die Feuchtigkeit und die schlechten Bedingungen an Bord der Shelley hatten seiner Gesundheit sehr zugesetzt. Er würde mehrere Monate brauchen, um sich davon zu erholen. Ach, was sollte es! Er hatte sein Ziel heil und gesund erreicht. Was sollte er sich beklagen?
Duncan bewunderte die Stadt und ihre Bewohner, die an ihm vorbeigingen, und vermochte ein Lächeln nicht zu unterdrücken. Es erfüllte ihn mit Hoffnung, dass er die lange, anstrengende Überfahrt trotz der Krankheit, die ihn schwächte, überlebt hatte. Wenn Gott entschieden hatte, ihn zu verschonen, musste es einen Grund dafür geben. Sein Wunsch würde erfüllt werden. Er strich über seine Weste, in der er den schon mehrere Jahre alten Brief von John verbarg. Das Geständnis seines Sohnes hatte ihn erschüttert. Und außerdem ließen ihm seit Culloden seine eigenen Gewissensbisse keine Ruhe. Er würde erst Frieden finden, wenn er mit Alexander gesprochen hatte … und wenn es an seinem Grab sein würde. Er musste ihm die Wahrheit sagen; ihm sagen, dass er nie aufgehört hatte ihn zu lieben und ihn bis zu seinem letzten Atemzug lieben würde. Im Moment bekam er allerdings so schlecht Luft, dass er fast meinte, es wäre schon so weit.
Madeleine steckte die drei Shilling von Madame Rivest ein und lächelte zufrieden. Es war erst früher Nachmittag, und sie hatte schon ihre letzten Töpfe Erdbeerkonfitüre verkauft. So brauchte sie kein Geld für Essen auszugeben, bevor sie auf die Insel zurückkehrte. Während sie ihren Marktstand saubermachte, überlegte sie, was noch in der Speisekammer lagerte und was sie sich kochen könnte. Dann kam ihr der Gedanke, kurz bei der Bäckerei ihres Cousins vorbeizuschauen. Sie hatte schon lange nichts mehr von Louis und Françoise gehört. Vielleicht hatte der Bäcker ja sogar Nachrichten von seiner Schwester … Das plötzliche Verschwinden Isabelles, die sich seitdem nicht einmal herabgelassen hatte, auf ihre Briefe zu antworten, hatte alle verblüfft und betrübt.
Zu Beginn war Madeleine sehr zornig auf ihre Cousine gewesen. Aber mit der Zeit hatte sich dieses Gefühl in Sorge gewandelt. Louis war unverrichteter Dinge aus Montréal zurückgekehrt.
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