Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
Schulter.
»Man verlangt nach dir, mein Junge.«
»Monsieur Macdonald, ich …«
Madeleine hatte sie erreicht und sah zögernd zu dem Bündel. Was mache ich eigentlich hier, verflixt?
»Kann ich Euch irgendwie behilflich … Ist das Euer Kind?«
»Aye, Madam.«
Sie schaute nach rechts und links, offenbar auf der Suche nach jemandem oder etwas.
»Die Mutter … ich meine, die Mutter des Kindes?«
»Die Mutter … she’s deid . Tot.«
»Oh! Das tut mir … leid. Habt Ihr jemanden, der sich um das Kind kümmert?«
Coll sah sie an und antwortete nicht, als habe er den Sinn der Frage nicht verstanden.
»Help , avec baby ?«
»Nay . Ich sorge für das Kind.«
Als wolle es ihr seine Not vor Augen führen, begann das Kind auf den Armen seines Vaters, der offenbar nicht allzu viel mit ihm anfangen konnte, zu schreien und zu zappeln. Madeleine stellte ihre Tasche ab und streckte die Hände aus.
»Darf ich?«
Sie schmiegte das fest gewickelte Kind in ihre Ellenbeuge und betrachtete es lächelnd. Coll spürte, wie ihm bei diesem Lächeln das Herz aufging: Er wusste, dass es nicht für ihn bestimmt war und es auch niemals sein würde; aber er war entzückt darüber, dass seine Tochter es erwecken konnte.
»Wie heißt es?«, fragte sie, ohne den Blick von dem kleinen Gesicht zu heben, dessen Augen den Bewegungen ihrer Locken folgten.
»Es ist ein Mädchen. Und … her name …«
Er zögerte. Bei seinem Erstgeborenen, Duncan, hatte die Frage sich gar nicht gestellt. Peggy war einfach der Tradition gefolgt, dem ältesten Sohn den Namen des Vaters oder Großvaters väterlicherseits zu geben. Bei seiner Tochter war das etwas anderes gewesen. Peggy war nach der Geburt nicht wieder zu Bewusstsein gekommen … Dann hatte Maggie sich um die Kleine gekümmert und sie Joan gerufen, weil sie der Name an ihren verstorbenen Sohn erinnerte.
»Eure Tochter hat keinen Namen?«
Madeleine sah Coll mit einem seltsamen Blick an.
»Not yet «, beeilte er sich verlegen zu erklären. »Ich habe noch nicht darüber nachgedacht.«
Madeleine bewunderte die zarten Züge und die feine Haut des Säuglings. Mit dem Zeigefinger strich sie über eine rundliche Wange.
»Und sie ist so hübsch! Anne würde gut zu ihr passen. Das ist ein Name, den man auf Englisch und Französisch gut aussprechen kann. Und da Ihr Euch hier niederlassen wollt … Außerdem wäre das ein Tribut an die Heilige Anna, die Schutzpatronin der Reisenden, die während Eurer Überfahrt über sie gewacht hat.«
»Anne«, wiederholte Coll. »Anna Macdonald. Das ist schön.«
»Coll!«, ließ sich Duncans ungeduldige Stimme vernehmen.
»Oh! Madam Madeleine, das ist mein Vater, Duncan Coll.«
Madeleine sah auf und schaute in das schwermütige, betrübte Gesicht des alten Mannes, das von einer langen Narbe gezeichnet war. Er grüßte sie mit einem leichten Nicken. Sie hätte Anstoß an seiner kalten Miene nehmen können, doch sie vermutete, dass sie großes Leid verbarg. Eine kleine Weile schauten die beiden sich an und schätzten einander ab. Dann lächelte Madeleine, und auch die Lippen des Alten verzogen sich kaum wahrnehmbar, sodass seine Züge weicher wirkten.
Im Gehen lauschte Coll der sanften Stimme Madeleines, die das Kind wiegte und ihm leise vorsang. Hinter der Truhe, die laut über die Pflastersteine knirschte, ging sein Vater. Coll war aufgewühlt. Nie hatte er geglaubt, dass es ihn derart bestürzen würde, diese Frau wiederzusehen. Er gab sich Mühe, an Peggy zu denken, an die letzten Stunden ihres Lebens und die Schmerzen, die ihr schönes Gesicht verzerrt hatten, während sie zwischen zwei Essigfässern, in den übelriechenden Ausdünstungen eines dunklen Schiffsrumpfs, ihre Tochter zur Welt gebracht hatte. Die Wehen und die vom Rollen des Schiffs hervorgerufene Übelkeit hatten seiner Frau so zugesetzt, dass sie stundenlang gestöhnt und fantasiert hatte. In der Nacht nach diesem Martyrium war sie dann gestorben. Aber das Kind war gesund gewesen. Frauen hatten sich sofort um den Säugling gekümmert, ihn so gut wie möglich gesäubert und in ein Laken gewickelt.
Coll biss die Zähne zusammen: So hatte es eigentlich nicht kommen sollen… Peggy hatte ihm versichert, das Kind werde erst nach der Überfahrt zur Welt kommen. Sie war schwanger geworden, als sie Glencoe verlassen hatten und nach Glasgow gegangen waren. Dort hatten sie vorübergehend bei seiner Schwester Mary gewohnt, während er versuchte, sich das Geld für die
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