Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
sparsam mit dem Vorrat umgehen, den Basile im Herbst gekauft hatte. Die beiden Dienstboten hatten während Isabelles Abwesenheit nur drei Räume des Hauses benutzt und daher keine großen Reserven angelegt. Ach, dann war es jetzt eben so! In Red River Hill hatte man den eiskalten Wind sogar durch die schlecht abgedichteten Fenster der Hütte pfeifen hören!
Isabelle blieb vor dem Cembalo stehen, das mit einem alten Laken abgedeckt war. Sie legte einen Finger darauf, schloss die Augen und ergab sich der melancholischen Erinnerung an das kleine Stück Land auf dem Hügel am Petite Rivière Rouge.
»e, f, g, h, i, j, k, l, n, m, o …«
»Monsieur Larue!«
Die laute Stimme des Hauslehrers riss Isabelle aus ihren traurigen Gedanken, und sie lächelte verhalten, als sie sich vorstellte, wie ihr Sohn gereizt das Gesicht verzog.
»M, N, O, P!«
»Schon besser! Und jetzt beginnt noch einmal von vorn, und versucht bitte, Euch nicht wieder zu vertun.«
»Och!«
Es gab ihr einen Stich ins Herz, wenn Gabriel Ausdrücke gebrauchte, die er seinem Vater abgehört hatte. Sie krallte die Finger in das Laken. Eine Ecke des dunkel glänzenden Instruments lugte hervor. Einen Moment lang schaute sie auf eine zwischen zwei goldene Ranken gemalte Rose hinunter. Es war lange her, dass sie ein Musikinstrument angerührt hatte…
Energisch zog sie an dem Stoff, der zu ihren Füßen niedersank, und enthüllte das Cembalo, das sie lange betrachtete. Seine Form erinnerte an den ausgebreiteten Flügel eines Vogels. Sie erinnerte sich, wie sie als Kind behauptet hatte, deswegen sänge das Cembalo. »Dann soll es singen, meiner Treu!«, hatte ihr Vater damals ausgerufen. »Du spielst so wunderbar darauf, mein Schatz, dass es gar nicht anders kann, als himmlische Töne von sich zu geben!«
Sie ging um das Instrument herum und fuhr mit den Fingern die Arabesken nach, mit denen es geschmückt war. Als sie mit dem Fuß gegen den Schemel stieß, schaute sie darauf herunter und stellte fest, dass der Lack an einigen Stellen aufgeplatzt war. Sie runzelte leicht die Stirn.
»Ja, auch du wirst älter!«
Sie zog den Schemel zurück und nahm nachdenklich darauf Platz. Seit Jahren hatte sie ihr Cembalo nicht mehr angerührt. Trotzdem legte sie die Finger auf die Tasten, um ein paar Töne anzuschlagen. Dazu brauchte sie nicht unbedingt den Deckel hochzustellen. Mit einer fließenden Bewegung begann sie ein Konzert von Bach zu spielen.
»Nanu! Da lässt mich wohl einer der Kiele im Stich!«
Enttäuscht schlug sie nun eine Reihe aufsteigender Töne an und bemerkte, dass sogar mehrere Tasten hintereinander stumm blieben. Neugierig hob sie den Deckel des Instruments an und stellte fest, dass ein Umschlag darin lag. Sie nahm ihn und setzte sich wieder. Für Isabelle stand darauf.
Sie erkannte die gestochen scharfe Handschrift ihrer Mutter und wurde von gemischten Empfindungen überwältigt. Im Spätsommer hatte sie mit dem letzten Schiff aus Frankreich einen Brief von ihrem Bruder Ti’Paul erhalten. Darin hatte der junge Mann ihr eine wichtige Mitteilung gemacht: Er würde den großen Schritt tun und heiraten. Seine zukünftige Frau, Julienne Maufils, war die Tochter eines Unterleutnants bei der leichten Kavallerie von Orléans. Der arme Paul! Sein großer Traum war es gewesen, zum Militär zu gehen und Abenteuer zu erleben! Nun ja … so weit hatte er sich auch wieder nicht von seinem ehrgeizigen Ziel entfernt! Er stand kurz davor, sein Ingenieursstudium an der Militärschule von Mézières abzuschließen, und man hatte ihm bereits eine Stellung auf den Antillen angeboten, wo er am Wiederaufbau von Fort Bourbon mitwirken sollte. Nach den guten Nachrichten war die schlechte gekommen: Am 8. Juni war ihre Mutter im Alter von vierundfünfzig Jahren hinter den feuchtkalten Mauern eines Klosters in der Nähe von La Rochelle verstorben.
Den Blick auf das vergilbte Papier gerichtet, legte Isabelle den Kopf zur Seite und sah vor ihrem inneren Auge die Züge ihrer Mutter. Das letzte Bild, das sie von ihr hatte, war das der schönen, kalten Frau, die sie immer gewesen war. Damals hatte Justine hoch aufgerichtet im Nieselregen neben dem mit Kisten beladenen Wagen gestanden, der gleich nach Québec abfahren würde. Sie hatte sie zum letzten Mal geküsst, und ihre Wangen, auf denen sich die ersten Falten zeigten, waren feucht gewesen. Isabelle hatte gemeint, eine Träne zwischen den Regentropfen zu bemerken. Hatte ihre Mutter geweint, weil sie wusste, dass sie
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