Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
versetzt und musste die Stadt verlassen. Doch zuvor versprach er Justine, zu Beginn des kommenden Winters zurückzukehren und um ihre Hand anzuhalten. Zuerst wollte er seinen Vater um ein Darlehen bitten, um ein schönes Haus in Lorient zu kaufen. Den ganzen Herbst hindurch bereitete das junge Mädchen mit Hilfe seiner Mutter und seiner Amme die Aussteuer vor. Doch Peter kehrte nicht zurück. Weihnachten kam und ging, und ein neues Jahr begann. Justine verlor nicht die Hoffnung. Sie sagte sich, er müsse ins Ausland versetzt worden sein, und wahrscheinlich habe sein Brief sie noch nicht erreicht. Und da trat Charles-Hubert auf den Plan …
Mit seinen sechsunddreißig Jahren war dein Vater noch immer eine stattliche Erscheinung. Ich schätzte seine Gesellschaft wegen der unzähligen Geschichten über seine Reisen, die er mir erzählte. Dabei vergaß ich meine Sorgen wegen Peters Schweigen. Oft ging ich mit Charles-Hubert am Meer oder im Garten spazieren. Aber mein Herz zog mich nicht zu ihm. Für mich war er einer der Geschäftsfreunde meines Vaters, nichts weiter. Ich bemühte mich, freundlich zu ihm zu sein, während er darauf wartete, dass der große Fluss in Kanada auftaute und er wieder nach Québec zurückkehren konnte, in sein fernes Neu-Frankreich. Wenn ich ihn anlächelte, dann, weil ich an meine bevorstehende Hochzeit dachte.
Eines Tages rief mein Vater mich in sein Arbeitszimmer und legte mir einen Ehevertrag vor. Ich war mir sicher, dass Peter endlich um meine Hand angehalten hatte. Da ich nichts von juristischen Vorgängen verstand, unterzeichnete ich hocherfreut, ohne den Vertrag bewusst zu lesen. Ich achtete gar nicht auf den Namen des Mannes, der mein Ehemann sein würde. Wusste Charles-Hubert in diesem Moment, dass mein Herz einem anderen gehörte? Ich werde es nie erfahren. Wie es auch gewesen sein mag, Peter ließ weiterhin nichts von sich hören. Also schiffte ich mich nach Kanada ein, gebrochenen Herzens und einem Mann angetraut, den ich nicht liebte.
Diese Geschichte erinnert dich an eine andere, nicht wahr? Nachdem du jetzt weißt, wie sehr ich unter dieser erzwungenen Ehe gelitten habe, fragst du dich sicherlich, warum ich so grausam war, dir das gleiche tragische Los aufzubürden. Ich hatte geglaubt, mein schreckliches Geheimnis nie enthüllen zu müssen … Aber ich glaube, es ist Zeit, dass du die Wahrheit erfährst, so schwer es für dich auch sein mag, sie zu hören.
»Versuchst du etwa, dein Gewissen zu beruhigen, Mutter? Du hattest kein Recht, mir zu nehmen, was man dir vorenthalten hat!«
Isabelle nahm das nächste Blatt zur Hand.
Ich wusste von Anfang an, dass du dich in diesen schottischen Soldaten verliebt hattest, Tochter. Ich verschloss die Augen davor, ich schützte Unwissenheit vor; aber ich würde lügen, wenn ich sagte, diese Beziehung hätte mich gleichgültig gelassen. Dieser Mann besaß weder Rang noch Vermögen, und ich konnte bezüglich seiner Absichten nur argwöhnisch sein. Ich hätte einschreiten müssen, diesem Idyll rasch ein Ende bereiten, um uns allen diesen Kummer zu ersparen. Doch ich habe nicht früh genug gehandelt, und das war ein schrecklicher Fehler. Ich dachte nicht, dass es so weit kommen würde … Ich habe nicht bedacht, dass Leidenschaft und Liebesrausch uns dazu bringen, jede Vernunft in den Wind zu schlagen und Dinge zu tun, die für uns Frauen schreckliche Folgen haben können.
Mir fällt es schwer, über dieses unangenehme Thema zu sprechen. Doch ich bin es dir schuldig. Ich erhoffe mir nicht, dass ich mit diesem Geständnis deine Vergebung erlange. Nein, was du erfahren wirst, wird dich derart bestürzen, dass du mich sicherlich noch mehr hassen wirst. Doch ich schulde dir die Wahrheit, Tochter. Ich möchte, dass du weißt, warum ich so gehandelt habe, als ich begriff, in welchem traurigen Zustand du wegen dieses Monsieur Macdonald warst.
Zuerst muss ich dir sagen, dass das wirkliche Datum meiner Eheschließung mit Charles-Hubert der 30. Januar 1739 ist und nicht der
2. Juli 1938, wie es im Vertrag steht. Da Charles-Hubert im Mai 1738 in La Rochelle vor Anker gegangen ist, konnte niemand die Richtigkeit des Dokuments bestreiten. Das Ziel dieser »Lüge« war es, dich vor der gesellschaftlichen Ächtung zu schützen, die dich hier in Québec unvermeidlich getroffen hätte, wenn die Wahrheit bekannt geworden wäre. Verstehst du, Isabelle … Ich war bereits mit dir schwanger, als ich den Mann geheiratet habe, den du immer als
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