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Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie

Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie

Titel: Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Marmen
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Unterricht im Lesen von englischen Texten geben, und ich werde Euch mein Problem genauer erklären.«
    In dem Schweigen, das jetzt folgte, war nur das Stimmengemurmel der Voyageurs zu hören, die sich zum Schlafen bereit machten. Der Hollandais stand auf. Mit einer Bewegung, die freundschaftlich wirken sollte, fasste er Alexanders Schulter und klopfte sie behutsam. Dann ging er davon, nachdem er ihm eine gute Nacht gewünscht hatte.
    Alexander, der immer noch bestürzt war, sah ihm bis zu seinem Unterstand nach. Er war nachdenklich geworden. Obwohl er seine Gründe verstehen konnte, verdross es ihn, dass sein Dienstherr Nachforschungen über ihn angestellt hatte. Aber noch mehr beunruhigte ihn der Umstand, dass van der Meer sich vor John fürchtete. Was für Intrigen mochte dieser Durand spinnen, dem der Hollandais so misstrauisch gegenüberstand? Der alte Händler war unter der Plane seines Unterstands verschwunden. Der Mann vertraute ihm, trotz allem, was er über ihn wusste … Ja, auch Alexander hatte gespürt, dass da eine Verbindung zwischen ihnen war, so als verstünde jeder die Geheimnisse, die der andere in einem dunklen Winkel seiner Erinnerungen bewahrte.
     
    Long Sault lag etwa eine Meile westlich der Mündung des Rivière du Nord in den Grand Rivière. Nachdem sie in drei mühsamen Etappen die gesamte Ladung und die Boote an das obere Ende der Stromschnellen transportiert hatten, wo sie ihr Lager errichteten, war es Zeit zum Abendessen. Alexander nahm seine Portion diskret in Augenschein, bevor er aß. Dann streckte er sich erschöpft neben einem umgedrehten Kanu aus und zündete sich die Pfeife an, wie er es seit einigen Jahren nach jedem Essen gewöhnt war. Bald breitete sich ein glitzernder Sternenhimmel über ihm aus. Die Nacht würde schön werden, sodass er ohne eine Unterkunft auskam. Die Augen fielen ihm zu, und er sog tief die Luft ein, die durchdringend nach geschmolzenem gomme de pin, Kiefernharz, roch.
    Er hatte kaum eine Minute die Augen geschlossen, als es im Gras raschelte und er sie wieder aufschlug. Eine Gestalt hob sich vor dem Sternenhimmel ab, und eine Laterne, die am Ende eines Arms hin- und herschwang, erhellte ein Gesicht, in dem über einem schneeweißen, struppigen Bart ein Lorgnon saß.
    »Ich hoffe, Ihr wollt so früh noch nicht schlafen, mein Freund«, sprach ihn van der Meers tiefe Stimme freundlich an.
    Rasch richtete Alexander sich auf, entschuldigte sich und lud den Pelzhändler ein, sich zu setzen. Der Mann stellte die Laterne auf den Boden, nahm Platz und hielt ihm lächelnd ein Buch hin.
    »Das ist das einzige englische Buch, das ich besitze. Ich habe es von meiner Schwester Joana.«
    Es war ein Kinderbuch, eine Sammlung von Abzählreimen, und schrecklich zerfleddert. Als Alexander es aufschlug, las er auf der ersten Seite eine handgeschriebene Widmung: To my beloved brother Kiliaen. Love, Joana. Für meinen geliebten Bruder Kiliaen. In Liebe, Joana.
    »Ich trug es in der schrecklichen Nacht, als mein Vater getötet wurde, bei mir und habe es während meines gesamten Exils eifersüchtig gehütet. Es ist alles, was mir von meiner Vergangenheit geblieben ist. Meine Schwester hatte es mir geschenkt, um mich damit lesen zu lehren«, murmelte der Hollandais gerührt. »Am nächsten Tag wollte sie mir die erste Unterrichtsstunde geben … Ich brannte so sehr darauf, dass ich das Buch mit ins Bett genommen habe. Nun hat es fünfzig Jahre gedauert. Aber besser spät als nie, wie man so sagt, nicht wahr?«
    »Allerdings«, stotterte Alexander.
    »Gut, dann lasst uns beginnen!«
    Fast eine Stunde lang spielte der Schotte den Schulmeister. Wie sich herausstellte, war sein Schüler außerordentlich begabt. Er hatte seine Muttersprache nicht vollständig vergessen, wodurch ihm das Lesen leichter fiel. Sie hatten schon die Geschichte von der Kuh, die über den Mond springt, und die von den drei Küchenjungen in der Tasse gelesen, als der Hollandais schließlich das Buch schloss und in die Tasche gleiten ließ.
    »Für heute Abend soll das genügen!«, verkündete er und zog eine schöne Fayence-Pfeife hervor, die mit hübschen, bunten Motiven bemalt war.
    Die Nacht war kühl und feucht. Jetzt lagen die Wälder hinter ihnen in tiefer Finsternis. Um sie herum stiegen eine Reihe seltsamer Geräusche auf, die Alexander inzwischen vertraut waren. Die Voyageurs saßen um das Lagerfeuer, von dem ab und zu eine Funkengarbe aufstieg und durch die Luft wirbelte wie ein Schwarm Leuchtkäfer.

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