Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
Nun ja … es machte sie halt glücklich, wenn Gabriel froh war.
»Ich habe noch eine!«, rief Marie triumphierend aus und hielt die Hände fest geschlossen.
»Zeig mal, zeig mal! Ist sie g’oß? Ich will eine ganz dicke, Ma’ie.«
»Marrrie«, verbesserte das Dienstmädchen ihn lächelnd und zeigte dem kleinen Jungen rasch das Insekt. »Und, bist du zufrieden?«
»Oh ja! Die ist dick! Gib sie Mama, sie tut sie in den Topf.«
Isabelle verzog das Gesicht und hob den Deckel, und das schwarze, schimmernde Tier gesellte sich zu den anderen und dem Grasbüschel, das ihr Futter darstellen sollte. Dann hob sie den Behälter mit spitzen Fingern hoch.
»Ich glaube, du hast jetzt genug Grillen gefangen, Gaby. Zeit für dein Mittagsschläfchen.«
»Ich will abe’ nicht schlafen, Mama«, murrte das Kind und verzog trotzig den Mund.
»Auf geht’s, darüber diskutiere ich nicht. Das Spiel ist vorbei, und du musst dich ausruhen.«
»Ich will noch etwas essen. Will nicht sofo’t schlafen.«
»Soforrrt, Gaby«, wiederholte Isabelle ungeduldig.
Der Sprachfehler ihres Sohnes hielt sich hartnäckig, und sie fragte sich, ob sie ihm im Winter nicht Stunden verordnen sollte. Gabriel, der bald vier wurde, konnte immer noch das »r« nicht richtig aussprechen. Pierre machte sich ebenfalls Sorgen und hatte sogar schon einen Lehrer für ihn gefunden, Monsieur Labonté.
»Komm, mein Engel«, ermunterte sie ihren Sohn und tätschelte ihm sanft den Kopf, »lauf und wasch dir Gesicht und Hände. Und dann zieh eine andere Jacke an, diese ist voller Erde. Wenn du dich beeilst, gibt Marie dir noch einen Keks.«
»Ja, ja«, gab der Kleine schmollend zurück.
Jedes Mal, wenn Gabriel seine Unzufriedenheit zum Ausdruck brachte, gab es ihr einen Stich ins Herz. Nicht, weil es ihm an Manieren gefehlt hätte, sondern weil er sie dann an seinen Vater erinnerte. Seufzend übergab sie Marie den Topf mit den Grillen, und die beiden gingen in die Küche. Isabelle begab sich ebenfalls nach drinnen, um sich einen Tee zu machen.
Louisette, die neue Haushälterin, bereitete in einer großen Fayence-Schale aus gemahlenen Bittermandeln, Honig und frischem Eigelb eine Enthaarungspaste vor. Isabelle zog diese Mischung den Rezepten vor, die gemahlene Kellerasseln oder zerstampfte Ameiseneier enthielten und sie anekelten. Daneben, auf dem Tisch, stand eine Abkochung aus Flockenblumen und Kamille zur Aufhellung ihres blonden Haars.
Der Anblick dieser Schönheitsmittel erinnerte die junge Frau daran, dass sie bei Apotheker Meloche vorbeischauen musste, der ihr das Bergamotte- und Jasminwasser nach seiner speziellen Rezeptur zubereitet hatte. Daher bat sie Basile, die schwarze Stute anzuspannen, und klopfte an die Tür von Pierres Arbeitszimmer. Sekunden später ließen sich Schritte vernehmen, und die Tür wurde geöffnet.
»Oh, tretet bitte ein, Madame Larue!«, sagte Jacques Guillot, Pierres neuer Angestellter, und trat beiseite, um sie vorbeizulassen.
»Ähem … ich wollte Euch nicht stören, Monsieur Guillot«, entschuldigte sie sich und errötete leicht. »Eigentlich wollte ich meinem Mann nur mitteilen, dass ich ein paar Besorgungen erledige … Ist er denn nicht da?«
»Nein, er ist ausgegangen, vor ein paar Minuten erst. Ein dringender Fall, hat er gesagt.«
»Aber nichts Schlimmes, oder?«
»Ich glaube nicht, Madame.«
Der junge Mann sah sich mit verlegener Miene um.
»Sucht Ihr etwas?«
»Den Vertrag eines Voyageurs und Händlers, der im Frühling dieses Jahres aufgebrochen ist. Ich wollte ihn herauslegen, ehe ich gehe, damit Monsieur Larue eher fertig ist.«
»Das ist nett von Euch, Monsieur Guillot. Habt Ihr im Archiv nachgesehen? Mir scheint, das ist der wahrscheinlichste Platz …«
»Das habe ich als Allererstes getan! Aber der Vertrag, den wir brauchen, ist nicht dort.«
»Und um welchen Händler geht es?«
»Kiliaen van der Meer.«
»Van der Meer?«, fragte Isabelle ein wenig beunruhigt. »Und das Dokument ist nicht bei den anderen?«
»Nein, Madame.«
Neugierig geworden trat Isabelle in die Kammer, in der sich Kisten mit Hunderten von Akten stapelten. Sie schlug einige Aktendeckel auf, die unter dem Buchstaben »V« abgelegt waren, und stellte fest, dass der Vertrag von Monsieur van der Meer in der Tat fehlte. Eigenartig. Pierre war doch sonst so ordentlich.
»Ich verstehe nicht… Also …«, murmelte sie und ging auch die Akten durch, die unter »M« lagen.
Vielleicht war der Vertrag ja zusammen mit dem von
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