Highland-Saga Bd. 7 - Echo der Hoffnung
davon aus, dass sie nicht exakt über seine persönlichen Sehnsüchte Bescheid wusste, doch sie arbeitete seit ihrer Kindheit als Hure und hatte wahrscheinlich ein gutes Gespür für die Sehnsüchte beinahe jedes Menschen, ob bewusst oder nicht.
»Oh, lieber nicht«, antwortete er höflich. »Ich möchte Euren Mann nicht stören.« Er versuchte, nicht an Rab MacNabs brutale Hände und kräftige Oberschenkel zu denken; vor seiner Hochzeit mit Nessie und der erfolgreichen Eröffnung ihres gemeinsamen Bordells war Rab Sänftenträger gewesen. Er konnte doch nicht etwa …?
»Den bekommt nicht einmal eine Kanone wach«, sagte sie und warf einen liebevollen Blick auf das Bett. Doch sie stand auf und zog die Vorhänge zu, um das Schnarchen zu dämpfen.
»Und wo wir schon von Kanonen sprechen«, fügte sie hinzu und bückte sich beim Zurückkommen, um einen genauen Blick auf Grey zu werfen, »Ihr seht so aus, als wärt Ihr im Krieg gewesen. Hier, trinkt einen Schluck, und ich lasse Euch etwas Warmes zu essen kommen.« Sie wies auf den Dekanter und die Gläser auf ihrem Beistelltischchen und griff nach der Schnur ihrer Glocke.
»Nein danke. Ich habe nicht viel Zeit. Aber ich trinke gern einen Tropfen, um die Kälte zu vertreiben, danke.«
Der Whisky – etwas anderes trank sie nicht; Gin bezeichnete sie verächtlich als Bettlergesöff, und Wein galt in ihren Augen zwar als gut, aber unzureichend – wärmte ihn, und sein nasser Rock hatte in der Hitze des Feuers zu dampfen begonnen.
»Ihr habt nicht viel Zeit«, sagte sie. »Und warum nicht?«
»Ich fahre nach Frankreich«, sagte er. »Morgen früh.«
Ihre Augenbrauen fuhren in die Höhe, und sie schob sich noch eine Zuckerfrucht in den Mund.
»Oh, kein Weiachen miger Famiie?«
»Ihr solltet nicht mit vollem Mund sprechen, meine Liebe«, sagte er, lächelte aber trotzdem. »Mein Bruder hatte gestern Abend einen schweren Anfall. Sein Herz, sagt sein Quacksalber, aber ich glaube nicht, dass er wirklich etwas weiß. Jedenfalls dürfte das Weihnachtsessen etwas nüchterner ausfallen als üblich.«
»Tut mir leid, das zu hören«, sagte Nessie, deutlicher jetzt. Sie wischte sich
einen Zuckerrest aus dem Mundwinkel und runzelte sorgenvoll die Stirn. »Seine Lordschaft ist ein guter Mensch.«
»Ja, er -« Er hielt inne und starrte sie an. »Ihr kennt meinen Bruder?«
Nessie lächelte ihn sittsam an.
»Diskretion ist die wichtigste Handelsware, wenn man ein Bordell führt«, flötete sie und plapperte damit eindeutig den klugen Spruch eines ihrer früheren Arbeitgeber nach.
»Sagt die Frau, die für mich spionieren geht.« Er versuchte, sich Hal vorzustellen … oder vielleicht auch, sich Hal nicht vorzustellen … Denn er würde doch gewiss nicht … Um Minnie seine Bedürfnisse zu ersparen vielleicht? Doch er hätte gedacht …
»Aye, nun ja, Spionage ist aber nicht dasselbe wie leeres Geschwätz, oder? Ich möchte Tee, auch wenn Ihr nichts wollt. Ich bekomme Durst vom Reden.« Sie läutete nach dem Portier, dann wandte sie sich mit hochgezogener Augenbraue wieder zu ihm zurück. »Euer Bruder liegt im Sterben, und Ihr fahrt nach Frankreich? Das muss ja dann sehr dringend sein.«
»Er liegt nicht im Sterben«, protestierte Grey scharf. Bei dem bloßen Gedanken daran tat sich vor ihm ein Spalt im Teppich auf, ein gähnender Abgrund, der nur darauf wartete, ihn in die Tiefe zu reißen. Entschlossen wandte er den Blick ab.
»Er … hat einen Schock erlitten. Wir haben die Nachricht erhalten, dass sein jüngster Sohn in Amerika verwundet wurde und in Gefangenschaft geraten ist.«
Sie bekam große Augen und klammerte den Morgenrock fester an ihre nicht vorhandene Brust.
»Der Jüngste. Das ist … Henry, nicht wahr?«
»Ja. Und woher zum Teufel wisst Ihr das?«, fragte er, und die Erregung ließ seine Stimme schroff klingen. Ein löchriges Lächeln schimmerte ihm entgegen, verschwand dann aber, als sie das Ausmaß seiner Bestürzung sah.
»Einer der Bediensteten Seiner Lordschaft ist Stammgast hier«, sagte sie schlicht. »Donnerstags, das ist sein freier Abend.«
»Oh.« Er saß still, die Hände auf den Knien, und versuchte, seine Gedanken – und seine Gefühle – zumindest ansatzhaft unter Kontrolle zu bringen. »Das – ich verstehe.«
»Es ist reichlich spät im Jahr für Nachrichten aus Amerika, oder?« Sie blickte zum Fenster, dessen Stofflagen aus Spitze und rotem Samt das Geräusch des strömenden Regens nicht aussperren konnten. »Ist noch ein
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