Highland-Vampir
in die Hose gegangen, weil ihr dazu noch die Ausrede gefehlt hatte.
All die Gedanken und Vorwürfe wurden zur Makulatur, als sie die Bewegung wahrnahm.
Die Haut unter ihren Fingern hatte gezuckt!
Fast wollte sie es nicht glauben, leuchtete jetzt direkt hinein in das Gesicht und hätte vor Freude fast geschrien.
Die Augen waren nicht mehr geschlossen!
Beinahe wäre sie zurückgezuckt, aber sie riss sich zusammen und starrte weiterhin in das Gesicht, und jetzt konnte sie auch die Farbe der Pupillen sehen, die aussahen wie geschliffene Kohlestücke.
Jetzt war sie sicher, dass Gordon McClure in seinem Sinne noch lebte. Justine war ihrem Ziel wieder einen Schritt näher gekommen.
Gegenseitig starrten sie sich an. Als wollte jeder in den Augen des anderen etwas Bestimmtes lesen. Die Pupillen gaben keine Auskunft. Sie blieben finster. Nichts bewegte sich darin. Trotzdem schloss der Highland-Vampir die Augen nicht. So starrte er weiter. Er forschte, er saugte aus den Blicken der anderen Person etwas hervor.
Justine lächelte. Die Lichtbahnen der Lampen schoben sich von verschiedenen Richtungen her durch die Höhle. Unzählige Staubpartikel tanzten durch die hellen Muster, sodass der Ort, an dem der offene Sarg stand, wie das Kunstwerk eines Lichtdesigners wirkte, der mit Helligkeit und Schatten spielte.
»Du bist endlich wieder wach«, flüsterte Justine Cavallo. »Es hat so lange gedauert. Aber ich habe alles darangesetzt, um dich zu finden. Ich werde dich aus dieser Höhle fortschaffen und hineinbringen in eine Welt, die ganz anders geworden ist. Und darin werde ich dir als Führerin zur Seite stehen und dafür sorgen, dass du dich zurechtfindest. Das kann ich dir versprechen, Gordon.«
Er musste die Worte verstanden haben, davon war Justine überzeugt. Nur bewegte er sich nicht. Er wartete noch auf dem Rücken liegend ab. Bis auf die geöffneten Augen hatte sich bei ihm nichts verändert.
Von einem Augenblick zum anderen änderte sich alles. Mit einer schnellen Bewegung packte er die Hand der blonden Bestie und hielt sie eisern fest.
Justine fühlte ihre Rechte wie in einer Klammer. Es war fast unmöglich, sich gewaltlos zu befreien; sie hätte McClure schon die Finger brechen müssen.
Genau das wollte sie nicht. Sie blieb stehen und wartete ab, was noch geschah. Sie gab McClure die Chance, und er nutzte sie. Er hatte den Halt gebraucht, denn an ihm zog er sich in die Höhe, um den Sarg zu verlassen.
Steif wie ein Brett kam er hoch. Mit dem Rücken hatte er noch an der Unterlage festgeklebt, doch jetzt begann sich die alte Kleidung zu lösen. Sie blieb nur noch an einigen Stellen hängen und bedeckte die magere Gestalt als Fetzen.
Justine half ihrem Artgenossen, aus dem Sarg zu klettern. Es war nicht leicht für ihn. Er beugte sich über den Rand hinweg, und Justine stützte ihn.
Sein gesamter Körper geriet jetzt in den Schein der Lichtlanzen. Die Cavallo erkannte, dass die Blutegel sich ihre Nahrung nicht nur an seinem Gesicht geholt hatten, sondern auch von seinem Körper. Vom Hals bis zu den Füßen verteilten sich die Wunden wie dunkle Flecken auf dieser weichen hellen Unterlage.
Er hatte sich aufgerichtet. Er zitterte. Er drehte den Kopf. Irgendwo tief in seiner Kehle entstand ein Grollen, und dann öffnete er langsam seinen Mund.
Genau darauf hatte Justine gewartet. Nur so konnte sie den endgültigen Beweis erhalten, dass er zu ihr gehörte. Sie musste das Zeichen sehen, und sie sah es.
Es waren die beiden spitzen Zähne, die aus dem Oberkiefer wuchsen. Nur sie zeigten sich, die anderen waren nicht zu sehen. Zähne, die darauf warteten, sich festbeißen zu können, um an das Blut heranzukommen.
Justine freute sich, dies zu sehen. Sie schaute zu ihm hoch und fuhr mit beiden Händen über seine Wangen hinweg. Wieder merkte sie, dass sich die Haut regelrecht zusammendrücken ließ, weil sie so weich war. Sie lächelte den Blutsauger an. »Bald wirst du frisches Blut bekommen«, versprach sie. »Es wird wunderbar sein, das kann ich dir schwören.«
Er nickte.
»Willst du frisches Blut?«
Wieder das Nicken.
Justine Cavallo lächelte. »Keine Sorge, du wirst es sehr bald bekommen. Nicht hier, aber vor der Höhle, denn da warten sie. Für dich sind sie die perfekte Beute, denn sie sind völlig ahnungslos.«
Mehr sagte die blonde Bestie nicht. Sie fasste die kalte Hand des Blutsaugers an und führte ihn wie ein kleines Kind auf den Ausgang der Höhle zu...
***
Nachdem das Lachen verstummt war,
Weitere Kostenlose Bücher