Hilfe, die Googles kommen!
und zu einem Statusobjekt für zukunftsgewandte Pioniere stilisiert. Denn letztlich gibt einem der exzessive Netz-Einkauf zumindest das Gefühl, am Puls der Zeit zu sein. Man drängelt nicht mehr mit dem technikfernen Pöbel an den analogen Ausverkaufstischen herum, sondern ist ein vollwertiges Mitglied der Internetgesellschaft. Man ist ein Onlineshopper24 und hat Anschluss an die Zukunft. Tolle Wurst!
Revolutionäres Reisen
Aber halt – es gibt Hoffnung! Jawohl, es lohnt sich, auch mal gegen den Datenstrom zu schwimmen und vielleicht den vermeintlich uncooleren Weg einzuschlagen, und sei es nur im Geheimen. Denn so etwas offen zuzugeben, kostet Überwindung. Ich möchte hier mal mit gutem Beispiel vorangehen, obwohl meine Frau mich davor gewarnt hat: »Du kannst das in der Öffentlichkeit nicht erzählen.« Ich mache es trotzdem. 57
Jawohl, meine kleine Familie hat ein Tabu gebrochen. Ich bekenne mich hier und jetzt zum ultimativen Sündenfall: Wir haben unseren letzten Sommerurlaub nicht im Internet gebucht – sondern im Reisebüro. Da! Jetzt ist es raus.
Jüngeren Menschen muss man natürlich erst einmal erklären, was ein Reisebüro ist: Kinder, es handelt sich dabei um ein Ladengeschäft, in dem ein Mensch, der das beruflich macht, den Computer für euch bedient. Es ist also »betreutes Surfen« 58 . So muss man nicht selber stundenlang am Rechner sitzen, kann sich entspannt zurücklehnen und bekommt unter Umständen sogar einen Kaffee. 59
Selbst wenn wir – und da bin ich mir mit meiner Frau einig – uns die Gratisgetränke wegdenken, war der altmodische Buchungsprozess im Reisebüro einfach toll. Gut, die Reise war trotzdem scheiße, aber wir wussten diesmal, wer verantwortlich war. Vorbei die Diskussion, ob meine Frau oder ich die falschen Klicks getätigt oder die Bewertungsforen nicht ausführlich genug studiert hatte. Wir konnten ganz klar sagen: Der Urlaub ist ein kompletter Reinfall, und Schuld hat die dumme Sau aus dem Reisebüro. Mit einem gemeinsamen Feindbild kann man sich über die Baustelle vorm Hotelzimmerfenster viel gelassener aufregen. Herrlich! Hier sieht man also überdeutlich: Wir haben technologisch einen Schritt zurück, aber praktisch einen nach vorne gemacht.
Und es gibt noch weitere interessante Aspekte beim Buchen im Reisebüro: So war es für uns zunächst etwas verwirrend, dass uns der analoge Urlaubsdienstleister telefonisch mitteilte, dass wir die Reisebestätigung per E-Mail zugeschickt bekommen würden. Das ist ja in etwa so, als würden Sie in der Buchhandlung ein Buch anlesen, um dann anschließend den Autor über Facebook zu bitten, es Ihnen zuzufaxen. So etwas nennt man einen Medienbruch. Ein Medienbruch entsteht also nicht, wenn Sie sich mit den Füßen im Kabelsalat unterm Computertisch verheddern und die mobile Festplatte vom Tisch reißen, sondern wenn Sie ein Online-Formular ausdrucken und dann handschriftlich ausfüllen oder, einfacher gesagt, wenn Sie auf ein Telefonat mit Rauchzeichen antworten. Klingt unlogisch oder zumindest inkonsequent, aber warum sollte man nicht ab und zu mal die Medien brechen? Via Rauchzeichen kann man wenigstens niemanden anschreien und auch nicht angeschrien werden. So lassen sich auch schwierige Gespräche kultiviert führen. 60
Dennoch ist der Medienbruch derzeit in etwa so chic wie die weiße Tennissocke im Lederslipper oder Cordhosen mit Schlag. Up to date ist nur, wer sein Leben auf Teufel komm raus und ungebrochen digital gestaltet. Wer heute etwas auf sich hält, erzählt dem älteren deutschen Ehepaar unter dem benachbarten Sonnenschirm am Goldstrand von Bulgarien, dass man die Reise zwar nicht für’n Appel und ein Ei, dafür aber online mit einem iPad von Apple gebucht hat. Das klingt natürlich erst mal so locker und leicht, wie Kate Moss nach der Schrothkur aussieht, ist aber ein echter Kreuzweg für den Urlauber am Puls der Zeit.
Denn auch hier ist, ähnlich wie beim Onlineshopping, Zeit- und Geldersparnis eine Illusion, vergleichbar mit dem Wonderbra: auf den ersten Blick beeindruckend, doch hinter der Fassade lauert die mehr oder weniger ernüchternde Realität. Eine typische Online-Buchungssession erfordert Blut, Schweiß und Tränen und kann sich je nach Reisepräferenzen über Tage, ja Wochen hinziehen.
Alles beginnt mit dem an sich harmlosen Plan, einen Sommerurlaub für sich und die Lieben zu buchen, was einen direkt zum oberflächlichen Angebote-Scanning auf ltur.de, necker mann.de, tui.de, weg.de,
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