Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hilfe, die Googles kommen!

Hilfe, die Googles kommen!

Titel: Hilfe, die Googles kommen! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Mann
Vom Netzwerk:
ich dachte mir einmal: »Komm, ich spar mir die Praxisgebühr und googel mir eine Diagnose zusammen.« Auf wiekrankbinicheigentlich.de 65 hatte ich nach meinen Problem­chen gesucht: »erhöhte Temperatur, beschleunigter Puls, kalter Schweiß, Zittrigkeit und Schmerzen im Oberbauch«. Tipp! Klick! Enter! Scroll! Schockierender Befund: Eierstockentzündung. Bei mir läuteten alle Alarmglocken. Ich dachte: »Klar. Kann doch sein. Steht immerhin im Internet. Und außerdem hat danach ja noch nie jemand geschaut. Vielleicht fühle ich mich deswegen einmal im Monat so verletzlich.«
    Was soll ich Ihnen sagen, ich habe sofort den Termin beim Gynäkologen ausgemacht. Das gab ein Hallo im Wartezimmer, vor allem bei den andern beiden Männern. Mit diesen Netz­recherchen habe ich an mir im Laufe der Jahre auch noch Hodenkrebs und Multiple Sklerose, Narkolepsie 66 , Borreliose und Diabetes mellitus diagnostiziert. Bestätigt hat sich glücklicher­weise nichts davon. Durch den übermäßigen Konsum von On­ line-Medizinforen hat sich allerdings mein langjähriges Leiden an einer typischen Männerkrankheit verschlimmert: pathologische Hypochondrie.
    Oh ja, man kann sehr schnell in die Panikspirale rutschen, wenn man seinen trockenen Husten als Sounddatei in die Com­munity von netdoktor.de stellt und User pharmafreak927 das mit den munteren Worten »Alter, sieh zu, dass du noch schnell deine Angelegenheiten regelst« kommentiert. Medizinische Foren, also die wilde Mischung aus Profis, Amateuren und komplett Hirnlosen, die dort über Symptome und Be handlungsmethoden diskutieren, zeigen oft auf, wo Meinungs freiheit allmählich keinen Sinn mehr macht.
    Googlelitis vulgaris
    Den Experten aus Fleisch und Blut kann das Internet in vielen Bereichen also nicht ersetzen. Der Beruf des Arztes wird so schnell nicht aus der Mode kommen, vor allem auch, weil das Netz selbst ganz neue Krankheiten erschafft. Eine der schlimmsten dieser Netzkrankheiten ist die sogenannte »Google­litis vulgaris«. Da mittlerweile große Teile der surfenden Bevölkerung davon befallen sind, möchte ich Ihnen die Möglichkeit zur Selbstdiagnose geben und die Symptome schildern: Sie wollen zum Beispiel nur mal eben schnell googeln, wie viel Wasser Ihr Ficus benötigt. Drei Stunden ­später befinden Sie sich auf einer Website über die Kubanische Revolution und Ché Guevara und fragen sich: »Wie zum Geier bin ich denn hierhergekommen?« Trotzdem surfen Sie noch zwei Stunden weiter und schwupps … ist der Ficus eingegangen.
    Dieses schlafwandlerische, ja delirante Umherirren von Link zu Link ist eine Epidemie, die sich über die globalen Daten­leitungen verbreitet hat wie Würmer auf ungeschützten Windows-Rechnern. Doch ganz so neu ist auch diese geistige Fehlfunktion eigentlich nicht. Selbst im gänzlich offlinen Leben ist Ähnliches schon seit Jahrhunderten zu beobachten:
    Die Gurken sind alle, und man möchte im Keller Nachschub holen. Schon beim Hinabsteigen der Treppe versickert das Ziel der Mission im Hirn. Sobald man im Vorratsraum steht, fragt man sich: »Gott, was wollte ich noch mal?« Die Gurken sind vergessen, aber wo man schon mal unten ist, hängt man halt im Waschkeller die Wäsche ab. Während man schließlich den Korb in den ersten Stock trägt, fällt der Blick – tadaa – auf das leere Glas Gurken auf der Küchenarbeitsplatte.
    Das ist zutiefst menschlich. Neu ist bei der Googlelitis nur, dass man sich durch den technischen Fortschritt nicht mehr von der Stelle bewegen muss, um orientierungslos durchs Leben zu fallen.
    Es reicht, auf einen Bildschirm zu starren. Wenn man dann noch bedenkt, dass so das Risiko, auf der Kellertreppe zu stürzen, stark minimiert wird, ist die Verwirrung vorm PC eigentlich ein Schritt in eine bessere Zukunft.

    # 61 Ehrenwort! Die Geschichte ist ausgedacht! Wirklich!
    # 62 Eine Aussage, die ich immer wieder auf den Prüfstand gestellt habe, bis ich zu einer überraschenden Erkenntnis gelangt bin: Früher war nicht alles besser. Wir haben nur gedacht, die Zukunft, also unser Heute, wäre geiler. Insofern müsste der Spruch korrekt heißen: Früher war Heute noch besser.
    # 63 So warnte uns vor nicht allzu langer Zeit der Gehirnforscher Manfred Spitzer vor »digitaler Demenz«. Ich selbst warne nicht davor, sondern umarme sie. Lieber digitale Demenz als analoge Ignoranz. Wie dichtete ich schon anno 2009 in einem meiner Lieder: »Das ist nicht schlimm, das ist Fortschritt, das ist sogar genial: Ja, selbst Demenz

Weitere Kostenlose Bücher