Hilfe, die Googles kommen!
veränderten Lebensbedingungen einstellt. Ich schätze, dass wir Menschen in zwei bis drei Generationen ohne Probleme mit den Datenströmen aus dem Netz umgehen werden. Oder der ganze Mist ist uns dann endlich wieder scheißegal.
Bin ich noch synchron?
Auch kulturell wirkt sich die umfassende Informationsflut spürbar aus. Im Kabarett gab es vor dem digitalen Zeitalter mal etwas, das man »Tagesaktualität« nannte. Aktuell war, was morgens in der Zeitung stand, und das blieb auch so, bis abends der Künstler im Kleinkunsttempel auf die Bühne stieg. Die nächste allgemein akzeptierte Aktualität kam nämlich erst mit der Tagesschau um 20 Uhr, was aber für den Kabarettabend keine Rolle mehr spielte, weil weder Künstler noch Publikum die Nachrichten zu sehen bekamen … konnten sie ja nicht. Waren ja alle im Theater.
Heutzutage, wo jeder Rücktritt und jede Kursänderung in Politik und Wirtschaft via Push-Nachricht von News-Apps auf das Smartphone gesendet wird, haben wir es nicht mal mehr mit einer Stundenaktualität, sondern oftmals mit einer Minutenaktualität zu tun. So veraltet ein ehemals tagesaktuelles Bühnenprogramm heutzutage bereits während es gespielt wird. Der Kabarettist muss in der Pause, beim Blick auf sein mobiles Endgerät, schockiert feststellen, dass er seine Weltsicht auf veralteten Fakten aufgebaut hat. Das kann ziemlich frustrieren, und so sollen gerüchteweise einige zweite Teile von Kabarettprogrammen heute nur noch aus ein, zwei Sätzen bestehen: »Meine Damen und Herren … Ach, leckt mich doch am Arsch!«
Jetzt mag der ein oder andere von Ihnen sagen: »Was interessiert mich das Leid der Kabarettisten?« Das wäre aber vorschnell, denn auch im ganz normalen Leben, fernab von kleiner Bühne und großer Politik, macht sich die Beschleunigung von Nachrichten und Trends bemerkbar: So dauerte es in der Zeit vor Internet und Globalisierung schon mal eine Weile, bis beispielsweise Modetrends um die Welt gingen. Bis die verschnarchte Brigitte -Redaktion via Fax erfahren hat, dass Kim Basinger mit einem roten Hut auf der New Yorker 5th Avenue in ein Taxi gestiegen ist, konnten schon Tage oder sogar Wochen vergehen. Deswegen gab es eine größere Zeitspanne, in der Moden entstanden und auch wieder verschwanden.
Heute ist Mode durch die weltweite Bilderflut in Realzeit einfach unfassbar, ja unmenschlich schnell. Das ist auch der Grund, warum die Leute beim Shopping immer so rennen: Sie wollen zu Hause sein, bevor die Klamotten in den Einkaufstüten wieder out sind. »Lassen Sie mich durch. Noch bin ich in. Shit, zu spät!«
Jedes Joghurt hat heute ein längeres Haltbarkeitsdatum als eine Haarfrisur. So haben Kabarettisten und Modefreaks im Grunde die gleichen Probleme: einen ständig wechselnden Status quo. Bei beiden ist allerdings eines sicher: Ein Joghurt auf’m Kopp ist auch keine Lösung. Glauben Sie mir, ich hab es probiert, und so trage ich für meinen Teil schon seit Jahren die gleiche Frisur, eine Mischung aus Elvis-Tolle der 60er und Raver-Stacheln der 90er Jahre, in der Hoffnung, dass sie irgendwann wieder modern wird – wenn sie es denn jemals war.
Während unsere Laptops, Desktop-Rechner, Handys und Tablets miteinander synchronisiert werden, geht die Synchronität zwischen Mensch und Realität flöten. Dadurch hinken wir stets den neuesten Informationen hinterher, sind anfällig für Panikmache und Hysterie, chronisch »underdressed« und permanent »out«.
In der Branche sprach man in der Kreidezeit des Netzes vom »daily reason to visit« – dem täglichen Grund, auf die Website zu surfen, den es für den User zu schaffen galt. Auch hier hat sich die Zeiteinheit massiv verkleinert, und die Online-Redaktionen haben sich als Maxime »every minute a reason to visit« auf die Fahnen geschrieben. Weil aber nicht immer und ständig etwas Profundes passiert, sitzen Praktikanten und feste freie Mitarbeiter 134 mit Klebstoff und Pinzette vor betäubten Mücken und versuchen, ihnen große Ohren, Stoßzähne und einen Rüssel anzukleben. Da mittlerweile Revolverblätter und distinguierte Blattmacher im gleichen Boot sitzen und auch noch in dieselbe Richtung rudern, glaubt der arme Leser irgendwann wirklich, dass da Elefanten bei ihm zu Hause summend gegen die Wohnzimmerfenster fliegen.
Kein Wunder also, dass auch die traditionell übernervösen Finanzmärkte auf jeden Fliegenschiss binnen Sekunden reagieren. Mal ganz im Ernst: Wenn im Frankfurter Zoo ein paar Tiger ausbrechen und
Weitere Kostenlose Bücher