Hilflos in deinen Armen
Verrecken nicht merken konnte. Die Augen zu Boden gesenkt und mit puterrotem Gesicht drückte sie sich furchtsam an die Wand, als fürchte sie, er werde ihr jeden Moment ein unanständiges Angebot machen. Anscheinend waren die über ihn kursierenden Gerüchte inzwischen beim Gesinde angekommen, höchstwahrscheinlich auch bei der Hausherrin, wenngleich sie sich nicht schlimmer verhielt als zuvor schon. Besser allerdings auch nicht.
Im Pferdestall angekommen, brauchte er einige Zeit, um seine Augen an das dämmrige Licht zu gewöhnen. Dann aber entdeckte er Ned, den Stallmeister, einen hochgewachsenen, breitschultrigen alten Knaben, dem er auftrug, das Schlachtross seines Knappen zu satteln.
Der Stallmeister zappelte verlegen herum und wich Bayards Blick aus. „Wo … äh … wohin soll’s denn gehen, Mylord?“
Bayard verkniff sich eine Bemerkung, stieß aber eine stumme Verwünschung aus. Offenbar hatte der arme Kerl Angst davor, einem Ritter sagen zu müssen, dass er die Burg von Averette nicht verlassen dürfe.
„Nur in die Vorburg“, beschwichtigte er. „Bisschen Lanzenausbildung.“ Am liebsten hätte er geschwindelt und dem Alten weisgemacht, er wolle sich mal die Ringmauer von außen ansehen und gucken, wo sie sich am wirkungsvollsten untergraben ließ.
Grinsend zupfte der Stallmeister an seiner Stirnlocke und machte sich eilig daran, den Befehl auszuführen. Bayard hockte sich derweil beim Stalltor auf einen umgestülpten Kübel.
Trotz seiner Körpergröße bewegte sich Ned äußerst behände. Er hätte vermutlich einen guten Soldaten abgegeben, ging es Bayard durch den Sinn, während er zusah, wie der Stallmeister Frederics Braunen aufzäumte.
„Ich danke dir, Ned“, sagte Bayard, als der Stallmeister fertig war, und führte das Pferd am Halfter aus dem Stall. Auf dem Weg zur Torhalle fragte er sich gespannt, ob die Wache ihn wohl passieren lassen würde. Das tat sie zwar, doch kaum war er durch, da sah er, wie einer der Posten auch schon im Laufschritt in Richtung Burgsaal eilte.
Wahrscheinlich, um der Burgherrin den gegenwärtigen Aufenthaltsort von Ritter Bayard unverzüglich zu melden.
Die Vorstellung ging ihm ebenfalls gegen den Strich. Seine schlechte Stimmung hob sich indes etwas, als er den wartenden, breit grinsenden Frederic sah, der vor Aufregung schon fast von einem Fuß auf den anderen hüpfte. Bayard wusste noch, wie gespannt er selbst bei ähnlichen Gelegenheiten gewesen war – bis sein Vater mit seiner Litanei von Anweisungen und Vorsichtsregeln loslegte, wobei er ihm Armand oft als abschreckendes Beispiel vor Augen führte.
Erst als Armand seine ersten zehn Turnierpreise einheimste, hielt der Alte endlich den Mund.
Der Übungsplatz war zwar nicht der größte, den Bayard je gesehen hatte, aber er reichte aus. Der Boden war nicht zu festgestampft, das Gras nicht gemäht, sodass es Stürze dämpfte.
Als Frederic dann im Sattel saß, war er dermaßen aufgeregt, dass er die Lanze kaum gerade halten konnte. „Denk dran, was ich dir beigebracht habe!“, mahnte Bayard, fest entschlossen, den Jungen nicht mit Kritik und Spott anzuleiten, wie es sein Vater getan hatte, sondern wie Armand: Mit Ansporn und Geduld.
„Mach ich!“, rief Frederic und klappte das Visier herunter.
Bayard ließ das Halfter los und trat beiseite. „Dann kann’s von mir aus losgehen.“
Frederic rammte seinem Pferd die Fersen in die Flanken. Mit einem Satz sprang das Tier in Galopp und fegte, zusehends schneller werdend, die Vorburg hinunter. Die Lanze wackelte gefährlich auf und ab, aber schließlich kriegte der Knappe die eingelegte Holzstange doch in den Griff und richtete sie auf … was? Etwa auf den Kopf der Stechpuppe?
Doch nicht schon wieder! Nicht schon wieder auf die Birne!
Kein Wunder, dass der erste Angriff völlig ins Leere ging.
Während Frederic sein Pferd zum Stehen brachte, trabte Bayard quer über die Wiese zu ihm herüber. „Für den Anfang nicht übel, aber du darfst nicht auf den Kopf zielen! Versuch den Schild zu treffen! Der ist größer. Du sollst den Gegner aus dem Sattel stoßen, nicht umbringen!“
„Aber es geht doch um den Sieg in der Schlacht, oder?“, nörgelte Frederic, nachdem er den Helm abgesetzt und unter den Arm geklemmt hatte. Sein Gesicht war schweißüberströmt.
„Der Gegner soll nicht getötet, sondern gefangen genommen werden“, belehrte Bayard seinen Knappen. „Um nachher Lösegeld zu verlangen.“ Er fasste die Zügel und führte das Pferd samt
Weitere Kostenlose Bücher