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Himmel der Suende

Himmel der Suende

Titel: Himmel der Suende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Riccarda Blake
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haben sollten.“
    Die Stimme kicherte amüsiert. „Na, jetzt bist du ja endlich hier. Zieh dich aus und zeig dich uns in all deiner irdischen Schönheit.“
    Sie räusperte sich. „Entschuldigen Sie, wenn ich das sage, aber die vereinbarte Summe galt nur für eine Person.“
    „Das klären wir schon. Später.“
    „Es tut mir leid“, sagte sie. „Ich habe diesbezüglich ganz klare Anweisungen von meiner Arbeitgeberin.“
    „Zieh dich aus!“, brüllte die Stimme ohne jede Vorwarnung wütend und ungeduldig, und Anya wich instinktiv einen Schritt zurück.
    Aus dem Dunkel jenseits des Altars trat eine Gestalt hervor. Sie trug eine weite dunkelbraune Kutte mit einer gewaltigen Kapuze, die so tief nach vorn hing, das Anya das Gesicht darunter nicht sehen konnte, aber sie hatte das Gefühl, dass dort, wo in etwa die Augen sein mussten, zwei kleine rote Punkte glühten. Der Gang der Gestalt war seltsam schwerfällig und machte ein kratzendes Geräusch - so als würden die Krallen eines riesigen Greifvogels über den Steinboden kratzen.
    Das Leuchten der roten Punkte unter der Kapuze wurde stärker, und die Stimme drang nun noch sehr viel eindringlicher an Anyas Ohr - und irgendwie, auf eine Weise, die sie sich nicht erklären konnte, auch in ihren Geist.
    „Zieh dich aus!“
    Es war mit einem Mal, als würde Anya die Kontrolle über ihre eigenen Bewegungen verlieren - als würde der ausgesprochene Befehl sie steuern. Wie in Trance stellte sie ihre Handtasche auf dem Boden ab und stieg aus ihren Schuhen. Sie spürte die Kälte des Steins unter ihren Sohlen und auch den Staub, aber es störte sie nicht.
    „Weiter“, sagte die Stimme, und Anya war sich nicht mehr sicher, ob sie sie wirklich mit den Ohren hörte oder vielmehr direkt in ihrem Kopf.
    Sie nahm das Schlauchkleid mit beiden Händen am Saum und zog es sich über den Kopf hinweg aus. Durch die Reihe der unsichtbaren Sänger ging ein leises, gieriges Murmeln. Als sie noch überlegte, wo sie das Kleid hinhängen sollte, sagte die Stimme ungeduldig: „Lass es einfach fallen. Du wirst es ohnehin nicht mehr brauchen.“
    Also ließ sie es, obwohl ihr das furchtbar falsch vorkam und etwas in ihr bei den Worten Du wirst es ohnehin nicht mehr brauchen alarmiert aufschrie, einfach fallen.
    „Braves Engelchen“, sagte die tiefe Stimme von unter der Kapuze. „Und jetzt leg dich hierher zu mir auf den Altar.“
    Alles in Anya wusste, dass das überhaupt keine gute Idee war, aber sie konnte gar nicht anders, als dem Befehl gehorsam Folge zu leisten. Sie trat nach vorn und kletterte auf den Steinquader. Anders als der Boden war er überhaupt nicht kalt. Im Gegenteil, es kam Anya sogar eher so vor, als wäre er noch etwas wärmer als ihre Körpertemperatur - so als wäre er selbst lebendig. Sie sah dunkelrotbraune trockene Flecken auf der Oberfläche des Steins und hoffte, dass es altes Tierblut war - vielleicht aus einer Zeit, noch lange ehe die Christen die britischen Inseln bevölkert hatten. Einer heidnischen Zeit, in der man gehörnte Götter angebetet hatte.
    „Leg dich hin“, wiederholte die Gestalt, und Anya gehorchte.
    Sie fühlte die Rauheit an ihrem Rücken und der Hinterseite ihrer Schenkel und schaute nach oben zur Decke der Höhle. Auch dort waren uralte Reliefs und Zeichen eingemeißelt: unheilige Fratzen, die so aussahen, als würden sie jeden Moment aus dem Fels gesprungen kommen - direkt auf sie herab -, um sie zu verschlingen.
    „Und jetzt halt still.“
    Zwei weitere Kapuzengestalten, etwas kleiner als die erste, schlurften hervor. Sie trugen gusseiserne Ketten mit Schellen daran. Ihr Weg teilte sich, und sie stellten sich je zu Anyas Kopf und zu ihren Füßen. Dann, auf einen Wink des Anführers hin, fesselten sie Anyas Hand- und Fußgelenke derart an die Ecken des gewaltigen Quaders, dass sie schließlich wie ein menschengroßes X darauflag.
    Die beiden Figuren traten wieder zurück, und der Gesang, der zwischenzeitlich leiser geworden war, schwoll wieder an.
    „So unschuldig, so hilflos“, sagte die Gestalt beim Altar und sah auf Anya herab. Doch auch jetzt lieferten die beiden Dreifüße nicht ausreichend Licht, als dass Anya das Gesicht unter der Kapuze hätte erkennen können. Allerdings kam ihr die Stimme inzwischen seltsam vertraut vor - wie aus einem ihrer Albträume.
    Er hob einen seiner Arme nach oben und streckte die Hand aus dem weiten, viel zu langen Ärmel. Anya zog erschrocken die Luft ein. Die Hand war faltig - und völlig

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