Himmel der Suende
Füßen in Position und hob die Sense mit beiden Händen hoch über den Kopf - wie der Schnitter. Das siegesgewisse Grinsen verlieh seinem verkrüppelten Schädel das Aussehen eines Totenkopfs.
„So sei es!“, brüllte er und holte zum Schlag aus.
Da ...
Etwas Hellstrahlendes flog vom Eingang der Kapelle aus quer durch den Raum, traf Bezal’El voll gegen die Brust und schleuderte ihn so weit nach hinten, dass er bis zu dem Altar flog, auf dem Anya hilflos gefesselt lag, mit dem Rücken dagegenkrachte und zu Boden ging.
Anyas Blick zuckte zum Portal.
Dort stand eine hünenhafte Gestalt mit fersenlangem Mantel, blondem Haar und hellen Augen. Was er gerade geschleudert hatte, war ein silbrig leuchtender Kriegshammer, der nun in seine offen ausgestreckte Hand zurückflog. Anya kam das Bild seltsam vertraut vor.
Bezal’El kam wieder auf die Füße und rief überrascht: „Man’El!“
Dann sprang er in die Höhe - und Anya sah etwas, das sie unmöglich glauben konnte. Aus seinem Rücken, etwa in Höhe seiner Schulterblätter, wuchsen wie aus dem Nichts zwei gewaltige Flügel, die ihn jetzt hoch zur Decke der Kapelle trugen.
Doch auch der Neuankömmling hatte auf einmal Flügel - und flog ihm mit einem lauten Kampfschrei entgegen.
Die beiden trafen in der Mitte aufeinander. Mit einem Seitwärtsschwinger seines Hammers schlug Man’El die auf ihn zusausende Sense zur Seite weg, wechselte ohne jede Mühe die Schlagrichtung in einer weit ausholenden Drehung und traf Bezal’El erneut voll in die Brust.
Der Narbige wurde aus der Luft heraus zu Boden geschmettert, und die Steinplatten unter ihm barsten mit einem lauten Krachen. Splitter davon flogen in alle Richtungen.
Noch ehe Bezal’El sich trotz des schweren Sturzes wieder aufrappeln konnte, war Man’El bereits an seiner Seite gelandet und schlug erneut zu.
Danach bewegte Bezal’El sich nicht mehr. Seine Flügel waren gebrochen, und seine weit aufgerissenen Augen waren leer.
Anya sah, wie Tami’El eines ihrer Schwerter aufhob und damit auf den Blonden zusprang.
„Vorsicht!“, rief Anya, und Man’El wirbelte gerade noch rechtzeitig herum. Er wischte mit dem Hammerkopf die auf ihn zustoßende Klinge zur Seite weg, als wäre sie nichts weiter als eine lästige Fliege.
Tami’El verlor das Gleichgewicht und stolperte nach vorn, wo Man’El sie am Kragen ihrer Kutte packte und ihr wunderschönes Gesicht ganz nah zu dem seinen zog.
„Du bist erschöpft, Tami’El“, hörte Anya ihn sagen. „Ein jetziger Sieg über dich wäre eine Schande. So lasse ich dich am Leben, weil du mich am Leben gelassen hast. Nun sind wir quitt. Lass deine Schwerter liegen, wo sie sind, und flieh, ehe ich es mir anders überlege!“
Tami’El funkelte ihn aus ihren kristallblauen Augen an. Doch dann riss sie sich aus seinem Griff los, drehte sich herum und rannte nach draußen.
Man’El blickte ihr noch einen Moment lang nach, um sich zu vergewissern, dass sie auch wirklich verschwand, und dann erst drehte er sich zu Anya herum, kam zu dem Altar und zerschlug ihre Ketten mit seinem Hammer.
„Ani’El“, flüsterte er heiser, hob sie vom Altar auf und zog sie in seine muskulösen Arme. „Ich hatte solche Angst um dich. Ich dachte, du wärest tot.“
So dankbar sie ihm für ihre Rettung auch war - es fühlte sich falsch an, von ihm in die Arme genommen zu werden. Als er jetzt auch noch versuchte, sie zu küssen, befreite sie sich aus seiner Umarmung und rannte davon.
„Sergej!“, rief sie laut und lief nach draußen. Sofort suchte ihr Blick den Wagen und den auf seine Haube gespießten Freund. Voller Angst im Herzen eilte sie zu ihm hinüber.
Er bewegte sich nicht.
„Sergej!“, rief sie noch einmal und legte ihm die Hand an die vom Kampf verdreckte und angeschwollene Wange.
Da öffnete er matt die Augen.
„Anya“, flüsterte er schwach - aber dann lächelte er unter großen Schmerzen. „Du lebst.“
Sie wollte etwas sagen, doch sein Anblick schnürte ihr die Kehle zu.
„Nimm... nimm den Koffer... und hau ab“, sagte er. „Immer in Richtung Süden. Kauf dir in der nächsten Stadt ein Auto und fahr nach Moskau - nicht nach Kiew. Tauch dort unter.“
„Ich lasse dich nicht allein“, sagte sie und griff mit der freien Hand seine.
„Ich sterbe, Anya“, erwiderte er. „Es gibt nichts, was du noch für mich tun könntest ... außer mir zu versprechen, dass du am Leben bleibst.“
„Ich will nicht leben ohne dich“, antwortete sie und küsste seine
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