Himmel uber Langani
habe, heilte sie gut und war eindeutig sauber. Doch nun ist der Schnitt wieder aufgegangen, Ihre Stirn ist geschwollen und verbeult, und Sie haben eine Infektion.«
»Ich habe desinfizierende Creme darauf getan. Und Verbände.«
»Hier geht es um Ihr Gesicht. Daran dürfen Sie nicht selbst herumdoktern.«
»Ich dachte, das wird schon wieder.«
Er tat ihren Einwand mit einer ungeduldigen Handbewegung ab. »Ich wünschte, Sie hätten mich sofort angerufen. Dann hätte ich mich darum kümmern können, bevor sich Ihr Zustand verschlimmert. Das hätte uns beiden das Leben leichter gemacht.«
»Mir war nicht klar …«
»Der Schaden ist an der schlimmstmöglichen Stelle entstanden, und zwar dort, wo sich die Wunde nach unten biegt. Sie müssen Antibiotika einnehmen, und außerdem ist jetzt eine Operation nötig. Ich kann Sie morgen vor meinen bereits angesetzten Terminen dazwischenschieben. Falls Sie sich in der Lage sehen, pünktlich zu sein.«
»Ich werde kommen.«
»Dürfte ich vielleicht erfahren, wie das passieren konnte?«
Camilla zuckte die Achseln und wich seinem Blick aus. »Ich bin gestolpert und habe mir den Kopf gestoßen. Und dann bin ich mit meiner Mutter aufs Land gefahren.«
»Wie geht es Ihrer Mutter?« Er war sicher, dass sie nicht einfach ohne Grund abgetaucht war. Ob ihr Verschwinden wohl mit Marina zusammenhing?
»Unverändert. Können wir uns nicht über etwas anderes unterhalten?« Sie sehnte sich nach einem Anflug der Anteilnahme, wie sie ihn bei ihrer letzten Begegnung wahrgenommen hatte. Stattdessen erkundigte er sich nach Marina. Doch Camilla brauchte jemanden, der sich um ihr Befinden kümmerte.
»Tut mir Leid. Ich hatte nur den Eindruck, dass Ihre Mutter sich nicht wohl fühlt.«
»Marina ist todkrank.« Es war das erste Mal, dass sie die Worte laut aussprach. Damit wurde es endgültig zu einer Tatsache. Vor Angst und Verwirrung war ihr so flau, dass sie sich beinahe auf seinen beigen Teppich und die Perserbrücken übergeben hätte.
Carradine wirkte sichtlich erschüttert. »Camilla, ich habe heute Nachmittag noch einen Patienten. Nur eine Kontrolluntersuchung wegen eines Eingriffs, der vor ein paar Wochen stattgefunden hat. Hätten Sie Lust, auf mich zu warten? Wir könnten etwas trinken gehen. Oder in ein Restaurant, wenn Sie möchten.«
»Ich fühle mich gut und brauche keinen Bewacher.« Sie hatte Mühe, sein Mitgefühl anzunehmen, ohne in Tränen auszubrechen.
»Oh, das denke ich schon«, erwiderte er mit einem Schmunzeln. »Sowohl beruflich als auch sonst. Falls Sie also nichts Dringendes vorhaben, soll meine Sekretärin eine Tasse Tee für Sie kochen und Ihnen die Abendzeitung geben. Dann gehen wir irgendwohin, wo ich Sie mindestens eine oder zwei Stunden lang im Auge behalten kann.«
»Ich habe Sie schon einmal gewarnt«, erwiderte sie, um Fassung bemüht. »Ein Rendezvous mit einer jungen Patientin nach Praxisschluss kann Sie die Approbation kosten.«
Als Camilla im Wartezimmer saß, dachte sie wieder an ihre Mutter und an die Entscheidungen, die Marina in den frühen Jahren ihrer Ehe hatte fällen müssen. Zweifellos hatte sie alles darangesetzt, ihr Leben in den Griff zu bekommen. Sie war dazu erzogen worden, eine gute Partie zu machen und ihren Platz in der Gesellschaft einzunehmen. Und sie hatte ihr Bestes getan, um die Karriere ihres Mannes zu fördern. Inzwischen war es zu spät für Schuldzuweisungen. Camilla hatte sich damit abgefunden, dass sie die alten Kränkungen vergessen und in der Gegenwart leben mussten.
»Er hat doch sicher über seine Neigungen Bescheid gewusst, als er dich heiratete«, hatte sie am ersten Abend in Burford zu Marina gesagt. »Dennoch hat er beschlossen, sich hinter dir zu verstecken, den anständigen Bürger zu spielen und Karriere im Auswärtigen Amt zu machen, wo warme Brüder unerwünscht sind. Zumindest offiziell.«
»Lass dass, Camilla.« Marina verzog traurig das Gesicht.
»Vielleicht hoffte er ja, dass alles gut gehen würde. Dass es ihm gelingen würde, diesen Teil seiner selbst zu unterdrücken.« Camilla war entschlossen, trotz des Unbehagens ihrer Mutter eine Erklärung einzufordern. »Aber offenbar konnte er es nicht. Oder er war zu egoistisch dazu.«
»Ich war noch so jung.« Marinas Hände bewegten sich ruhelos auf ihrem Schoß. »Bei unserer ersten Begegnung war ich zwanzig und habe mich auf Anhieb in ihn verliebt. Ich bin sicher, dass er mich auch liebte. Als er mir einen Heiratsantrag machte, fühlte ich mich am
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