Himmel uber Langani
draußen, denn sie wollte mit Piet frühstücken, bevor dieser zur Lodge aufbrach. Bis auf die Vögel, die überschwänglich den neuen Tag begrüßten, war nichts zu hören. Um diese Uhrzeit sieht alles noch so frisch aus, dachte sie, während sie gebannt das Farbenspiel des Sonnenaufgangs betrachtete und beobachtete, wie der Mond geisterhaft im azurblauen Himmel verblasste. Noch war es zwar kühl, aber sie wusste, dass bald eine glühende Hitze herrschen würde. Als sie sich umdrehte, um zum Esszimmer zu gehen, sah sie, dass Simon reglos dastand und sie anstarrte. Sie hatte ihn nicht kommen gehört.
»Guten Morgen, Simon, du bist aber früh auf.«
»Guten Morgen, Madam, Bwana Piet hat gesagt, ich soll um sieben für die Abfahrt zur Lodge bereit sein.«
»Ach, stimmt. Offenbar fühlst du dich in der Lodge wohl«, meinte sie, um Konversation zu betreiben.
»Ich arbeite hart für Bwana Piet, Madam«, erwiderte er. »Und ich hoffe, dass ich alles richtig mache und er zufrieden mit mir ist. Später werde ich vielleicht ein paar Freunde finden. Aber mit den Kikuyusippen hier verstehe ich mich nicht.« Er vollführte eine wegwerfende Handbewegung. »Sie sind keine guten Menschen.« An seinem Hals zuckte ein Nerv, und er schürzte missbilligend die Lippen.
»Und wie verbringst du dann deine Freizeit?« Sarah hatte Mitleid mit ihm. Es war schon schwer genug, ein Fremder und ein Waisenkind zu sein und weder in einer Familie noch in Stammesstrukturen Geborgenheit zu finden. Aber wenn man auch noch von seinen Kollegen aus reinem Konkurrenzneid abgelehnt wurde, trug man kein leichtes Los.
»Ich habe meine Bücher, Madam. Der Priester in der Missionsstation hat sie mir geschenkt und mir gesagt: ›Simon, du musst die ganze Zeit lesen. Das ist gut für deinen Verstand.‹ Also habe ich gelesen, um etwas für meinen Verstand und mein Englisch zu tun. Wie finden Sie mein Englisch?«
»Du sprichst es ausgezeichnet, Simon. Welcher Priester hat dir denn die Bücher gegeben? War es derselbe, der auch das Empfehlungsschreiben verfasst hat?«
»Nein, Madam. Es war ein alter Priester, ein mzee , der mich unterrichtet hat, als ich noch nichts wusste. Inzwischen ist er sehr krank und wurde ins Krankenhaus in Nairobi gebracht. Aber ich habe alle seine Bücher gelesen. Ich habe alles gelesen, was er mir gegeben hat.«
Der Gedanke, dass der kleine Junge, zurückgelassen in der Mission, unwissend, einsam und vermutlich völlig verängstigt, von einem gütigen Priester unter seine Fittiche genommen worden war, rührte Sarah. Der Geistliche hatte Simon eine wundersame neue Welt eröffnet und ihm den Zugang zum geschriebenen Wort ermöglicht. Sarah stellte sich vor, wie er sich mit den fremden Symbolen abgequält hatte, bis er sie eines Tages lesen konnte.
»Simon, warte einen Moment.« Sie hatte einen plötzlichen Einfall.
Sarah eilte zurück in ihr Zimmer und wühlte in ihrer Büchersammlung. Sie besaß einen Sammelband englischer Literatur, den sie in der vierten Schulklasse als Preis gewonnen hatte und der sie noch immer überallhin begleitete. Das Buch enthielt Auszüge aus verschiedenen Prosawerken und Gedichten und war mit Holzschnitten und Kupferstichen illustriert. Auf der ersten Seite befand sich eine Widmung, die besagte, dass Sarah Mackay den ersten Preis im Englischwettbewerb gewonnen hatte. Bestimmt würde Simon das Buch gefallen, und er würde es zu schätzen wissen, dass sie ihm etwas schenkte, das ihr wichtig war. Unter den Namensaufkleber schrieb sie:
Für Simon, ich hoffe, dass du viel Spaß daran hast und dein Wissen erweiterst. Mit den besten Wünschen, Sarah Mackay.
Dann kramte sie in ihrer Mappe, bis sie auf ein Foto von ihm stieß, das auf der ersten Fahrt zur Lodge entstanden war. Nachdem sie auch das Bild mit einer Widmung versehen hatte, holte sie eine Weihnachtstüte aus der Kommodenschublade und steckt die beiden Geschenke hinein.
»Hoffentlich gefällt dir das Buch, Simon«, sagte sie zu ihm. »Mir hat es immer viel bedeutet, und es sind großartige Texte darin. Die schönsten, die ich kenne. Sicher wirst du viel daraus lernen.«
Er öffnete die Tüte und betrachtete ehrfürchtig das Buch. Seine Lippen bewegten sich lautlos, als er den Aufkleber studierte und dann las, was sie handschriftlich hinzugefügt hatte. Schließlich blickte er auf und strahlte übers ganze Gesicht. Noch nie hatte Sarah ihn so lächeln gesehen.
»Warum schenken Sie mir so etwas Wertvolles?«, fragte er und strich mit den
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