Himmel über London
zurückfliegen musste – aus praktischen Gründen –, so gab es nichts, was ihn daran hinderte, nach London zu ziehen. Sie hatten das noch nicht ernsthaft besprochen, aber das war doch … das war doch wohl bereits durchgeklungen?
Oder hatte er sie ganz einfach reingelegt? Vielleicht hatte er daheim in Manhattan Frau und Kinder und sie nur für ein kleines Abenteuer ausgenutzt?
Sie spürte, wie sie zwischen Unruhe und Misstrauen hin- und herschwankte. Zwei Tage waren nun einmal nur zwei Tage, konnte man einem Menschen wirklich vertrauen?
Oder war ihm etwas zugestoßen?
Sie schaute auf die Uhr. Es waren noch zwanzig Minuten ihrer Mittagspause übrig. Sie hatte sich nichts zu essen bestellt, hatte aber auch keinen Hunger. Ich warte noch fünf Minuten, beschloss sie. Dann rufe ich ihn noch einmal an. Und wenn er nicht drangeht, dann rufe ich im Hotel an.
Über die Rezeption des Rembrandt erfuhr sie zwei Dinge. Zum einen ging Mr. Skrupka nicht an sein Telefon in seinem Zimmer, das war unbestreitbar. Zum anderen hatte er das Hotel gegen halb zwölf Uhr verlassen, das war nicht ganz unbestreitbar, aber die Frau, mit der Leya sprach, war sich vollkommen sicher, dass er ungefähr um diese Zeit bei ihr vorbeigekommen war. Und sie hatte ihn nicht zurückkommen sehen.
Leya bedankte sich für die Informationen und verließ ihren Tisch. Ging die Treppen hinunter, hinaus auf die Kensington High Street. Lenkte ihre Schritte zurück in die Bank.
Er weiß ja, wo ich arbeite, dachte sie. Und er hat ja meine Nummer.
Und den ganzen Nachmittag über schwankte sie zwischen Unruhe und Enttäuschung.
55
P aula McKinley fuhr in London normalerweise nicht mit dem Taxi, doch an diesem Tag tat sie es. Sie war viel zu aufgeregt, um es zu ertragen, sich zwischen Menschen in U-Bahn oder Bus zu quetschen.
Sie bezahlte den Fahrer, gab ihm viel zu viel Trinkgeld und eilte zum Eingang. Die Wut kochte in ihr, aber sie wusste, dass es dazwischen auch einige Angstblasen gab.
»Paul F. Kerran«, erklärte sie dem blonden Mädchen an der Rezeption. »Können Sie ihn zu fassen kriegen? Er wohnt hier im Hotel.«
Das Mädchen tippte auf ihrer Tastatur und schaute auf den Computerbildschirm. Schüttelte ihre blonden Locken.
»Tut mir leid. Wir haben keinen Gast dieses Namens.«
»Doch, das haben Sie. Treiben Sie hier keine Spielchen mit mir.«
»Tut mir leid. Kerran war der Name?«
»Paul F. Kerran«, wiederholte Paula McKinley. »Und ich weiß, dass er hier wohnt.«
»Kerran mit K?«
»Wie soll er denn sonst buchstabiert werden? Mit Q?«
Das Mädchen ruckte mit dem Kopf, tippte erneut auf die Tasten und starrte auf ihren Schirm.
»Es tut mir wirklich leid. Es gibt niemanden hier, der so heißt. Weder mit K noch mit C und auch nicht mit Q.«
»Verdammte Scheiße«, sagte Paula McKinley.
Ein zierlicher Herr in dunklem Anzug tauchte hinter dem Tresen auf. Er sah aus wie eine Art Chefrezeptionist.
»Worum geht es? Darf ich Sie bitten, sich ein wenig zu beruhigen?«
Paula McKinley holte tief Luft, doch als sie versuchte, Balsam auf ihre Empörung zu legen, spürte sie, wie stattdessen Tränen in ihr aufstiegen. Es gelang ihr jedoch, sie zu unterdrücken, indem sie sich auf die Unterlippe biss und die Fäuste ballte.
»Er hat meinen Hund gestohlen«, erklärte sie. »Ich war gezwungen, nach Irland zu fahren, um meine Mutter zu besuchen. Sie liegt im Krankenhaus. Paul Kerran hat sich um meinen Hund gekümmert, und jetzt … jetzt sind beide verschwunden.«
»Hund?«, sagte der Chefrezeptionist und bekam eine Falte auf der Stirn.
»Ein Schäferhund«, führte Paula aus, »zumindest das meiste von ihm. Ich bin vor einer Stunde in meine Wohnung zurückgekommen, und da gab es keine Spur von den beiden. Nun ja, bis auf … nein, da war nichts.«
»Und woher wissen Sie, dass er hier wohnt?«
»Weil er das gesagt hat«, antwortete Paula.
»Er hat behauptet, er wohne im Rembrandt ?«
»Ja.«
Das blonde Mädchen räusperte sich. »In diesem Hotel sind Haustiere nicht erlaubt. Und wir haben keinen Gast mit dem von Ihnen genannten Namen. Deshalb glaube ich …«
»Einen Augenblick«, unterbrach ihr Vorgesetzter und strich sich mit einem Zeigefinger über den dünnen Schnurrbart. »Können Sie die beiden beschreiben … ich meine Hund und Mann?«
»Sie beschreiben?«
»Ja, bitte.«
Paula McKinley räusperte sich und begann mit einer genauen Beschreibung aller Charakteristika des Hundes, doch der Mann hinter dem Tresen unterbrach sie schon
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