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Himmel über London

Himmel über London

Titel: Himmel über London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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steifen Leinenservietten und zwei Kandelabern mit gerade entzündeten Kerzen sah, seufzte er zufrieden und beglückwünschte sich selbst zu einem perfekten Schachzug.
    Prendergast traf nur wenige Minuten später ein, und da die übrigen Gäste wie erwartet etwas verspätet waren, gab es genügend Zeit, sowohl für einen Martini an der Bar als auch dafür, die Planung mit dem Oberkellner, Mr. Barolli, durchzusprechen – während Maud im Raum für die Damen war und sich die Nase puderte oder was immer sie dort auch tat.
    Leonard war im Auto die letzten fünf, zehn Minuten eingenickt, doch jetzt fühlte er sich erfrischt und stark. Ich bin ein Schwergewichtsboxer, der in die letzte Runde geht, dachte er. Ich lasse mich nicht zu Boden schicken, bevor ich nicht selbst entscheide, dass es an der Zeit ist, die Deckung zu öffnen.
    Er wunderte sich selbst, warum er so dachte, the noble art of self defence hatte ihn nie besonders interessiert, aber vielleicht war das ja die Art, wie das Gehirn gegen Ende reagierte. Er schob diese Überlegungen beiseite, als Prendergast ihm den korrigierten Text zeigte. Er ging ihn in zwei Minuten noch einmal durch, nickte zustimmend und erklärte dann Mr. Barolli die Prozedur mit den Getränken vor der Käseplatte. Der Chefkellner war eine lange, hagere Nippesfigur unbestimmten Alters und nach allem zu urteilen ein Mann von Welt. Er versicherte, verstanden zu haben.
    »Ausgezeichnet«, stellte Leonard fest. »Und ich bin hier der Kapitän an Bord, vergessen Sie das nicht. Ich will nichts von irgendeiner Meuterei hören. Es ist möglich, dass es nach der kurzen Rede meines Notars kleinere Tumulte gibt, doch die werden sich mit den Wolken verziehen.«
    Boxer? Kapitän an Bord? Nippesfigur? Mit den Wolken verziehen?
    Was waren das für Ausdrücke? War er diese verfluchten Wortschmierereien immer noch nicht los, die in seinem Schädel herumirrten? War er wirklich Urheber dieser Plattitüden? Er schüttelte sich, und es gelang ihm, Maud ein Lächeln zuzuwerfen, als sie endlich aus der Damentoilette herauskam. Vielleicht wurde es auch nur eine Fratze.
    »Wie fühlst du dich, Leonard?«, fragte sie.
    Die gleiche Frage hätte sie gern auch ihrem Sohn gestellt, biss sich aber auf die Zunge. Irina und Gregorius tauchten kurz vor halb neun Uhr auf, und sofort konnte sie sehen, dass etwas nicht stimmte. Irina sah blass, aber gefasst aus, Gregorius war unrasiert und schien unter einem Kater zu leiden. Um es elegant auszudrücken, jedenfalls steuerte er sofort die Bar an, um dort einen kleinen Whisky zu kippen. Erst danach begrüßte er höflich seine Mutter, seinen Stiefvater und Mr. Prendergast.
    »Bin ein bisschen krank gewesen«, erklärte er. »Eigentlich sollte ich im Bett liegen, aber das geht ja nicht an so einem Abend.«
    Er machte eine halbherzige Geste, als wollte er Leonard auf den Rücken klopfen, konnte sich aber gerade noch zurückhalten. Leonard Vermin war kein Mensch, dem man auf den Rücken klopfte, niemals, und schon gar nicht jetzt, wo er mit einem Fuß im Grab stand.
    »Wie geht es dir, Leonard?«, fragte Irina. »Ich finde, du siehst frisch aus.«
    »Frisch?«, keuchte Leonard. »Ja, eines will ich dir sagen, meine Kleine, wenn es etwas gibt, was ich nicht bin, dann frisch. Aber darauf scheißen wir. Du selbst siehst etwas blass aus, das kann aber auch an dem Licht hier drinnen liegen. Von deinem Bruder wollen wir gar nicht reden.«
    »Danke, dass ihr gekommen seid«, sagte Maud.
    Leonard schaute sich um. »Da sollte noch einer kommen. Was habt ihr mit dem dritten Mann gemacht?«
    »Ich denke, wir sind vollzählig«, erklärte Gregorius. »Deine Familie und dein Notar, warum sollten noch mehr Leute kommen?«
    »Skrupka«, sagte Leonard. »Warum ist er nicht mit euch gefahren? Es war doch so geplant.«
    Irina zuckte mit den Schultern und schaute desinteressiert drein. Maud spürte, dass sie am liebsten angefangen hätte zu weinen. »Wer um alles in der Welt ist Mr. Skrupka, Leonard?«, fragte sie und putzte sich die Nase in einem Papiertaschentuch. »Warum erzählst du uns nie etwas?«
    »Im Laufe des Abends werde ich alles erklären, keine Sorge«, antwortete Leonard, und für einen Moment – während er kurz auflachte oder vielleicht eine Schmerzattacke bekämpfte – dachte sie, er sähe aus wie Graf Dracula. Wie hieß noch dieser alte Schauspieler? Bela Lugosi?
    Und dann dieser merkwürdige Prendergast, ließ Maud ihre Gedanken weiterwandern. Sieht er nicht auch aus, als wäre er

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