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Himmel über London

Himmel über London

Titel: Himmel über London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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einem Film entsprungen? Mit dieser Augenklappe und allem. Ein Seeräuber oder ein alter Nazi? Was tut er eigentlich hier?
    »Du hast doch keine Schmerzen, Leonard?«, fragte sie.
    Man ging zu Tisch, ohne noch auf einen Mr. Skrupka zu warten. Leonard und Mr. Prendergast saßen jeweils an der Stirnseite, Maud und Gregorius an der einen Längsseite, Irina und dem leeren Stuhl gegenüber. Irina fühlte sich kurz schwindelig, als sie sich setzte, der Raum war nur von den leicht flackernden Kerzenlichtern beleuchtet – auf dem Tisch und in vier schmiedeeisernen Kerzenhaltern an den Wänden. Es könnte eine Grabkammer sein, dachte sie, und das ist sicher kein Zufall.
    Leonard stieß an sein Glas.
    »Da das Menü aus sechs Gängen besteht, denke ich, Mr. Skrupka wird es uns nicht übel nehmen, wenn wir uns den ersten ohne ihn gönnen«, erklärte er. »Eine kleine Spatzenbrust aus der Toskana, wenn ich mich nicht irre. Aber dann muss er bald auftauchen, sonst platzt das Programm.«
    Irina schien, das klang, als gäbe er ihnen die Schuld, Gregorius und ihr, dass der unbekannte Gast nicht rechtzeitig gekommen war. Sie spürte, wie ihre übliche Antipathie erwachte, und beschloss, das als Zeichen für ihre Gesundheit anzusehen.
    »Spatzenbrust«, sagte Gregorius, »lange her, dass ich das gegessen habe.«
    Halt die Schnauze, Bruder, dachte Irina. Du bist hier, um dich ordentlich zu benehmen und um ein Erbe anzutreten, hast du das vergessen?
    Die toskanische Spatzenbrust wurde unter Schweigen serviert (mit einem Klecks Zypressengelee darauf und zwei kreuzweise angerichteten Liebstöcklzweigen darunter) und konsumiert. Ein moussierender roter Langobresiwein dazu. Chefkellner Barolli fragte, was er mit der sechsten Brust machen sollte, und Leonard schlug vor, sie so lange in Folie einzuschlagen. Oder sie dem Hund zu geben, falls es einen gab.
    Oder dem Koch.
    Teller und Bestecke wurden ausgetauscht. Eine Uhr in einem hinteren Raum ließ neun spröde Schläge vernehmen, und nur wenige Sekunden nach dem letzten Schlag klopfte es an der Tür, und ein Mann mit einem weißen Turban um den Kopf betrat den Raum.
    Nein, bei näherem Hinschauen begriff Maud, dass es sich nicht um einen Turban handelte, sondern um einen Verband. Der Mann schien jedenfalls so um die fünfunddreißig zu sein, und er zwar zweifellos ein wenig nervös. Außerdem stellte sie fest, dass er aufs Haar einer Figur aus einer bekannten Comicserie im Fernsehen ähnelte, an deren Namen sie sich aber nicht mehr erinnern konnte.
    Der Mann räusperte sich und trat von einem Fuß auf den anderen.
    »Mein Name ist Milos Skrupka. Es tut mir leid, dass ich zu spät komme, aber ich bin überfallen worden.«
    Er ließ seinen Blick über den Tisch und die um ihn Versammelten schweifen, dann ging er auf Prendergast zu. »Mr. Leonard, wie ich annehme? Ich freue mich, Sie endlich kennenzulernen.«
    »Was für ein bescheuerter Hanswurst«, brummte Gregorius seiner Mutter ins Ohr. »Was zum Teufel hat er hier zu suchen?«
    Doch Maud hörte ihrem Sohn gar nicht zu. Ihre Aufmerksamkeit konzentrierte sich stattdessen auf Leonard. Etwas passierte mit ihm; in dem Moment, als der Fremde sich vorstellte, schien er zu schwanken. Obwohl er saß; er schob sich die Hand in die Jacke und fasste sich ans Herz.
    Jetzt, dachte Maud, jetzt stirbt er.
    Doch das tat er nicht. Nach ein paar Sekunden zog er die Hand wieder heraus, legte sie umständlich auf die weiße Tischdecke vor sich und klärte den Irrtum auf: »Nein, mein Freund. Ich bin Leonard Vermin. Bitte schön, nimm doch Platz. Ja, dann sind wir jetzt vollzählig, das Spiel kann beginnen.«

67

    L ars Gustav Selén saß im Restaurant Le Barquante in der Great Portland Street und schaute auf die Uhr.
    Es war Viertel nach acht. Irgendetwas war schiefgelaufen.
    Er versuchte seine zunehmende Nervosität zu bekämpfen, indem er zwei Gläser Rotwein trank. Das hatte beim ersten Glas und bis zehn vor acht geholfen, aber jetzt hatte er das Gefühl, ersticken zu müssen. In letzter Minute waren ihm die Dinge aus der Hand geglitten. Es gab keine Möglichkeit mehr für alternative Erklärungen; der Tisch, an dem Leonard Vermin und seine Geburtstagsgäste hätten sitzen sollen, wurde soeben von einem halben Dutzend eifrig plaudernder und gestikulierender Damen unterschiedlichsten Alters eingenommen. Eine von ihnen erinnerte ziemlich an die alte Premierministerin Thatcher, aber Lars Gustav Selén meinte sich zu erinnern, dass sie entweder tot oder

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