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Himmel über London

Himmel über London

Titel: Himmel über London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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Frührente, hatte einen älteren Bruder, meine Eltern waren seit vielen Jahren tot. Früher in meinem Leben hatte ich als Taxifahrer gearbeitet, und durch diese Arbeit hatte ich mir das Rückenleiden zugezogen, aufgrund dessen ich früher in Rente gegangen war als üblich. Ein ganzes Arbeitsleben lang zusammengekauert hinter einem Lenkrad zu sitzen, das kann für bestimmte Muskeln in bestimmten Rücken zu viel sein. Mein Name war Lars Gustav Selén. Vielleicht deutsch, aber ich glaube es nicht. Und ich habe keine Ahnung, wie es eigentlich richtig ausgesprochen wird.
    Woher ich all diese Informationen im Traum hatte, davon habe ich ebenfalls nicht die geringste Ahnung, aber unmittelbar nachdem ich aufwachte – ich hatte nicht länger als zwanzig Minuten geschlafen –, erinnerte ich mich an jedes Detail. Ja, es dauerte sogar ein paar Sekunden, bis mir bewusst wurde, dass ich nicht mit diesem bis dato unbekannten Menschen identisch war, sondern dass ich immer noch Leonard Vermin war.
    Und es gab noch mehr. In Person des besagten Herrn Selén machte ich im Traum einen Spaziergang von meiner Wohnung in einem einfachen Mietshaus am Rande dieser unbekannten und dennoch so vertrauten Gemeinde. Es war ein Herbsttag, relativ kühl, ich ging eine finstere, nur spärlich befahrene Straße zu einem einfachen Einkaufszentrum mit Lebensmittelgeschäft, Bank, Apotheke und zwei, drei anderen Läden entlang. Ich ging in den Supermarkt und kaufte ein paar Lebensmittel: Milch, Butter, Brot, Bananen, Kaffee, eine Art Kekse, die Marie hießen, sowie vier Dosen Bier von einer Marke, die mir im Traum sehr vertraut war, hinterher jedoch nicht mehr.
    Dann kehrte ich auf demselben Weg zurück, den ich gekommen war. Ich sprach mit keinem einzigen Menschen, und als ich wieder zu Hause war, setzte ich mich an einen hässlichen kleinen Küchentisch mit karierter Wachsdecke, trank Kaffee mit Zucker und Milch und aß ein paar Kekse, während ich eine dünne Tageszeitung durchblätterte und irgendetwas plante. Anschließend verließ ich die Küche und ging in eines der Zimmer. Ich nahm hinter einem großen Schreibtisch Platz, der vor einem Fenster stand und auf einen blühenden Kastanienbaum zeigte, was natürlich ein Anachronismus war, da es sich ja um einen Herbsttag handelte. Aber Kastanie ist nun einmal Kastanie, dachte ich, bevor ich meinen Computer einschaltete und in einigen der schwarzen dünnen Notizhefte blätterte, die sich zu Dutzenden auf dem Schreibtisch befanden. Auf dem Fensterbrett vor dem Schreibtisch befanden sich drei deutlich sichtbare Dinge: ein gerahmtes Foto mit einer Menge junger Menschen darauf, vielleicht war es das Schulfoto einer Abgangsklasse, es sah so aus, eine altmodische Taschenuhr in Gold sowie ein gerahmter Zeitungsausschnitt, ich konnte nicht erkennen, worum es sich dabei handelte. Die Wände in dem Zimmer waren vom Boden bis zur Decke mit Bücherregalen bedeckt, voll mit Büchern, Akten und Mappen, und alles deutete darauf hin, dass ich die Absicht hatte, mich dem Schreiben zu widmen, das mein raison d’être war.
    Genau mit diesem französischen Ausdruck im Kopf wachte ich auf, raison d’être , und es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass ich mit Lars Gustav Selén nicht identisch war. Ich fühlte mich schwer erschüttert. Ich war nie auch nur in der Nähe eines ähnlichen Traumes gewesen, ja, ich war sogar bereit zu glauben, dass es sich um etwas anderes als einen Traum gehandelt hatte. Die ungeheure Klarheit und intensive Präsenz, die ich erlebt hatte, während ich mich darin befand, hielten mich – und halten mich noch immer – in einem erschreckenden Eisengriff. Ich hatte Mühe beim Atmen, versuchte dann auf dem Balkon eine Zigarette zu rauchen, aber es war mir einfach nicht möglich, den Rauch zu inhalieren.
    Maud befindet sich irgendwo unterwegs, vielleicht ist sie zum Friseur gegangen, vermutlich wird sie erst in ein paar Stunden zurück sein. Ausnahmsweise bedauere ich das; ich befinde mich im Kampf zwischen Gefühlen starker Verlassenheit und, wie gesagt, Angst. Meine Wut und mein Gerechtigkeitsglaube sind meine einzigen Waffen in diesem Kampf, aber sie erscheinen mir stumpf. Und bald werden die Schmerzen wieder auftauchen, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
    Vielleicht sollte ich mir ein paar weitere Stunden Schlaf gönnen, bevor Maud zurück ist, aber irgendetwas sagt mir, dass Lars Gustav Selén mich in diesem Fall nicht in Ruhe lassen würde, und sobald ich diesen Gedanken

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