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Himmel über London

Himmel über London

Titel: Himmel über London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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Regenschirmen mit einem Zeitabstand von weniger als zehn Sekunden aus verschiedenen Richtungen die Mauer entlanggeschlendert kamen, um dann unbeschwert durch die Pforte zu schlüpfen.
    Ich nahm mein Fahrrad und folgte ihnen. Sobald ich im Park war, hatte ich sie wieder im Blickfeld. Der Erste hatte auf den Zweiten gewartet, und das Paar befand sich nun zwanzig Meter vor mir auf einem der Spazierwege, die nördlich auf die Holland Park Avenue zuliefen. Sie spazierten langsam Seite an Seite, vorbei am Holland House und der Jugendherberge – in der ich im ersten Sommer in dieser Stadt selbst ein paar Wochen gewohnt hatte –, und sie waren allem Anschein nach bereits tief in ein Gespräch vertieft. Diskret folgte ich ihnen, mein Fahrrad schiebend. Ab und zu blieben sie stehen, wandten sich einander zu und schienen irgendein Problem zu besprechen. Aufgrund der Regenschirme konnte ich nicht mit Sicherheit ausmachen, ob der eine tatsächlich mit dem Pferdegesicht identisch war, aber aufgrund der Situation an sich und in Ermangelung anderer Menschen in dem alles andere als angenehmen Wetter fühlte ich mich dennoch meiner Sache ziemlich sicher. Ein Problem war natürlich meine eigene Rolle und dass ich gezwungen war, mich hinter ihnen mit der gleichen anormal langsamen Geschwindigkeit zu bewegen, doch da keiner von beiden die Möglichkeit, überwacht zu werden, in Betracht zu ziehen schien – sie drehten sich nie um, um sich abzusichern –, so brauchte ich mir diesbezüglich keine Sorgen zu machen.
    Die beiden Herren setzten ihren Spaziergang unter ihren Regenschirmen in langsamem Takt fort, ohne einem einzigen Menschen zu begegnen, und als sie sich dem Teich näherten, bogen sie nach links ab. Ich nutzte die Gelegenheit, ein paar sinnlose Fotos zu machen, da ich ja nun einmal meinen Fotoapparat dabeihatte, aber es war eigentlich nur eine Farce, das Licht reichte nicht aus, und gerade in dem Moment, als sie die Statue von Lord Holland erreicht hatten, da passierte es.
    Sie blieben stehen, wandten sich einander zu, und dann – wenn ich es richtig auffasste von dem Punkt aus, an dem ich über mein Fahrrad gebeugt stand –, dann übergab das Pferdegesicht seinem Begleiter etwas. Ein kleines Päckchen irgendeiner Art, der andere machte eine Handbewegung, als stopfte er etwas in eine Innentasche, schaute sich anschließend hastig um – aber nach allem zu urteilen, ohne meine diskrete Anwesenheit in gut dreißig Meter Entfernung zu bemerken – und machte dann einen schnellen Vorstoß mit der rechten Hand.
    Das Pferdegesicht verlor seinen Regenschirm und kippte sich krümmend nach vorn, woraufhin der Begleiter erneut zustieß, dieses Mal von oben und ziemlich hoch in den Rücken. Er warf einen Blick zurück, in meine Richtung, und eilte dann weiter auf die Orangerie zu.
    Das Pferdegesicht fiel auf den Kiesweg, direkt zu Füßen der Statue, immer noch zusammengekauert, und noch bevor ich bei ihm war, wusste ich, dass er erstochen worden war.
    Das Blut floss in Strömen, er stöhnte leise, und sein Körper wurde durch eine kurze Serie von Krämpfen erschüttert. Anschließend streckte er sich ein wenig, wurde ruhig, und auch wenn ich mich noch nie zuvor in einer derartigen Situation befunden hatte, so wusste ich doch, dass er tot war.
    Ein paar Sekunden lang war ich vollkommen perplex. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte – vielleicht gar nichts, vielleicht dass alles nur eine Art absurdes Spiel war –, aber das hier auf keinen Fall. Nicht einen soeben getöteten Körper auf einem Kiesweg im Holland Park an einem regnerischen Samstagnachmittag im Oktober.
    Nach einiger Zeit wurde mir klar, dass ich nicht bleiben konnte, und zu meiner Schande muss ich sagen, dass ich mich nicht einmal davon überzeugte, ob der Mann zu meinen Füßen wirklich tot war – indem ich den Puls oder die Atmung überprüft hätte oder was immer man in so einer Situation tut. Doch ich sah seinen Kopf, der schräg nach oben gedreht auf den Kieseln lag, ich sah, dass es sich tatsächlich um den Mann auf meinen Fotos 5-8-32 handelte, und etwas weniger Lebendiges als diese Augen, die weit aufgerissen die Füße des Lord Holland anstarrten, hatte ich noch nie gesehen.
    Also tat ich es dem Mörder gleich. Schaute mich um, ohne irgendeinen Zeugen zu entdecken, und eilte aus dem Park. Jedoch in entgegengesetzter Richtung, denselben Weg, den wir gekommen waren.
    Zehn Minuten später führte ich von einem Telefonapparat oben an der Station Notting Hill

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