Himmel über Tasmanien
langsam den Kopf. »Ich bezweifle, dassmeine Gesundheit mir noch viele weitere Jahre schenkt, aber ich werde mich auf jeden Fall bemühen, so lange wie möglich aktiv zu bleiben.«
Lulu nahm sie genauer in Augenschein. Clarice hatte schon immer schauspielerisches Talent besessen, und bis zu diesem Tag hatte sie sich einer überaus robusten Gesundheit erfreut. Tatsächlich war sie immer stolz darauf gewesen, nie einen Arzt aufsuchen zu müssen. Insofern waren die Seufzer und die Leidensmiene alles andere als glaubhaft, und Lulu war mit einem Mal äußerst argwöhnisch.
»Dieser erhöhte Blutdruck scheint sehr plötzlich aufgetreten zu sein«, sagte sie nachdenklich.
Clarice hob eine flatternde Hand. »Das passiert, wenn man alt wird«, murmelte sie, »und zweifelsohne gehören diese furchtbaren Kopfschmerzen auch dazu.«
Wäre es nicht so tragisch gewesen, hätte Lulu gelächelt. Clarice hatte nie Kopfschmerzen. »Das klingt alles sehr beunruhigend«, sagte sie und warf einen Blick auf das Wandtelefon. »Ich will lieber den Arzt anrufen und mir seinen Rat hinsichtlich deines Gesundheitszustands einholen. Kopfschmerzen und hoher Blutdruck sind nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.«
Clarice erhob sich umständlich, als Lulu aufstand. »Das ist nicht nötig«, sagte sie hastig. »Er war heute Morgen hier und ist mit meinen Fortschritten ganz zufrieden.«
»Trotzdem würde ich gern mit ihm sprechen – nur um sicherzugehen, dass du mir alles erzählt hast.«
Clarice riss die Augen weit auf. »Liebes«, hauchte sie, »du willst mich doch nicht der Lüge bezichtigen?«
»Ganz und gar nicht, aber gleichwohl hast du den Blutdruck und die Kopfschmerzen für dich behalten, und da stellt sich mir die Frage, was du noch vor mir verheimlichst.«
»Nichts, Liebes. Ganz bestimmt. Bitte, störe Dr. Williamsnicht an einem Freitagnachmittag. Der arme Mann arbeitet so viel und hat nur wenig Zeit für seine Familie.«
Lulu setzte sich wieder auf die Stuhlkante und hielt Clarice’ Blick stand, denn sie war sich jetzt sicher, dass sie ihren Gesundheitszustand als Waffe einsetzte, um Lulu in England festzuhalten. »So du denn sicher bist, dass der Arzt alles unter Kontrolle hat«, murmelte sie.
Clarice goss eine weitere Tasse Tee ein und schaute zur Seite. »Natürlich, Liebes. Er hat mir ein Stärkungsmittel und ein paar Tabletten gegeben, damit ich wieder auf die Beine komme, aber ich brauche sie eigentlich nicht – nicht, wenn ich dich an meiner Seite habe, die mich während meiner Genesung bei Laune hält.«
»Ich bleibe übers Wochenende, aber danach wäre es vielleicht keine schlechte Idee, eine deiner Freundinnen zu bitten, dir Gesellschaft zu leisten, bis es dir besser geht.«
»Warum sollte ich das tun, wo ich doch dich habe?« Alle Schwäche und Zerbrechlichkeit schienen wie durch ein Wunder von ihr abgefallen zu sein. Clarice hatte sich kerzengerade aufgerichtet und strotzte nur so vor Energie.
»Weil ich Ende des Monats nach Australien gehe.«
»Das geht nicht. Du hast gar keinen Pass.« Triumph leuchtete in ihren Augen auf.
»Ich hatte noch meinen Kriegsausweis aus der Zeit, als ich die Busse fuhr. Das hat für einen Pass gereicht.« Sie sah, wie das Licht aufflackerte und erlosch, und spürte einen Anflug von Reue. »Die Fahrkarten sind bezahlt, Tante Clarice. Wir werden am Achtundzwanzigsten mit der SS Ormonde ablegen.«
»Wir?«
»Dolly kommt mit.«
Allem Anschein nach war in Clarice der alte Kampfgeist erwacht. »Ich hätte mir denken können, dass diese flatterhafte Person mit drinsteckt. Diese hirnlose Närrin hat nicht die leiseste Ahnung, was sie tut, wenn sie dich zu diesem Wahnsinn ermutigt.«
»Sie hat mich weit weniger zu all dem ermutigt als du, Tante Clarice«, erwiderte Lulu. Jetzt, da sie wusste, dass Clarice ihr etwas vorgemacht hatte, überkam sie eine eigenartige Ruhe.
»Ich habe dich niemals ermutigt«, entgegnete Clarice heftig, und alle gespielte Hinfälligkeit war vergessen, nachdem der Plan vereitelt worden war.
»Und genau deswegen muss ich gehen.«
»Aber warum, Lorelei? Warum bist du so entschlossen, gegen meinen Willen zu handeln und mich derart zu verletzen? Hat Maurice’ Selbstmord nicht gereicht, dich davon abzubringen?«
»Der Seitenhieb war gemein«, sagte sie leise, »und die Verletzungen waren gegenseitig. Zuerst ignorierst du mein Bedürfnis, nach Hause zurückzukehren, und weigerst dich, mir den Grund zu nennen, warum du so unerbittlich darauf bestehst, dass
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