Himmel un Ääd (German Edition)
Der Verrat wog zentnerschwer, dagegen mutierte die
Tatsache, dass er mit ihr im Bett gewesen war, zu einem Fliegengewicht.
»Verräter!
Mörder!«, brüllte ich die zerrissene Fotohälfte auf dem Fußboden an, die Eckis
Gesicht zeigte. Die andere Hälfte des Fotos, mich selbst, hatte ich gestern
Abend schon unters Bett gefegt. Das Foto von uns beiden, aufgenommen bei einem
Paris-Besuch, hatte uns freudestrahlend vor dem fröhlich bunten
Tinguely-Brunnen gezeigt. Dass dieses Foto zu Eckis Schätzen gehörte, hatte
mich gerührt und mal wieder windige Sehnsüchte geweckt. Für einen Moment hatte
ich gehofft, dass alles gut werden würde. Bis ich das »El Solare«-Prospekt
entdeckte. Danach hatte ich mich mit dem Borbler-Teufelszeug ins Nirwana
befördern müssen.
»Lumpesiach,
Drecksbolle, Lugebaidl!«, schrie ich auf Badisch weiter, weil mir der Kopf aus
den Tiefen der Erinnerung ewig nicht gebrauchte Kindheitsschimpfworte schickte.
Als mir diese ausgingen, trampelte ich auf dem Foto herum, als könnte ich Ecki
wie einen Wurm zerquetschen.
Kuno streckte
besorgt den Kopf ins Zimmer, ich warf den Wecker in seine Richtung, sprang auf,
knallte die Tür zu und drehte den Schlüssel um. Die Sonne regte mich auf. Was
fiel ihr ein, an so einem Elendstag so strahlend zu scheinen? Ich zog die
Jalousien zu und fing an zu heulen. Den Kopf mit den Händen festhaltend, ließ
ich mich aufs Bett fallen, rollte mich wie ein Embryo ein und zog die
Steppdecke über den Kopf. Götter und Menschen hatten mich verlassen. Niemand
half mir, niemand tröstete mich, niemand trocknete meine Tränen. Ich schwor
mir, nie mehr aufzustehen. Ich wollte verschwinden, im Meer des ewigen
Vergessens ertrinken. Ich wollte nicht mehr sein.
Irgendwann tauchte
ich doch wieder aus meiner Höhle auf. Schweißnass, alles an mir stank. Ein
Klopfen an der Tür, Adelas Stimme, ich reagierte nicht. Eckis Kopfkissen in
meinem Bett entfachte neuen Zorn. Ich stach mit dem Kugelschreiber hinein,
rupfte es auseinander, riss, zerrte, schüttelte. Federn wirbelten lautlos Staub
auf, bevor sie ermattet zu Boden rieselten. Wieder summten die Bienen, ich
drückte den Off-Knopf, schleuderte das Handy weg und kroch zurück in die Höhle.
Ich fiel in einen unguten Sekundenschlaf, der Geschmack von Salz auf den Wangen
und mein eigenes klägliches Wimmern ließen mich hochschrecken. Ich dämmerte
erneut weg, träumte davon, hilflos dämonischen Furien ausgeliefert zu sein.
Mein Herz pochte wie ein blutender Fleischklumpen.
Irgendwann trieb
mich brennender Durst aus der Höhle. Im Zimmer herrschte gnädige Dunkelheit, es
musste mitten in der Nacht sein. Kein Licht nirgends, kein Mensch nirgends. Gut
so, ich wollte keinem begegnen. Ich schlich ins Bad, hängte den Kopf unter den
Wasserhahn und trank wie eine Verdurstende. Aus der Anzeige des
Badezimmerradios tropfte die Zeit. Das Licht auf dem Display spiegelte giftiges
Grün in den Armaturen. Kein Blick in den Spiegel, wie hätte ich den aushalten
können? Wie ein Schatten meiner selbst schlich ich zurück in die Höhle.
ZEHN
Als zum ersten Mal
Musik durch die Türritzen drang, hielt ich mir die Ohren zu. Beim zweiten Mal
ließ ich mich auf das Klavier ein. Natürlich hatte ich bereits beim ersten Mal
erkannt, was gespielt wurde. »The Köln-Concert« von Keith Jarrett. Beim dritten
Mal kroch ich aus der Höhle. Ich hörte, wie Jarrett auf den Klavierdeckel
klopfte und dann die Töne fast verschwinden ließ. Ich sah die Sonne, die
Lichtpfeile durch die Ritzen der Jalousie in mein verschneites Zimmer schickte.
Nach vier Minuten kam diese Stelle, wo Jarrett die Töne nach oben schraubte, wo
er einen tiefen Seufzer ausstieß, wo er alles Dunkle und allen Schmerz
verbannte und auf einmal leise juchzte und die Finger über die Tasten tanzen
ließ. Immer, wenn ich diese Stelle hörte, leuchtete Hoffnung auf.
Auferstehungsmusik. Ich ging ans Fenster und zog die Jalousien hoch. Im
Hinterhof blühten immer noch der Löwenzahn und die Pfingstrose um die Wette.
Noch zweimal
spielte Adela das Konzert, bevor ich mich vom Fenster löste. Adela war bei
Jarretts Konzert in Köln dabei gewesen. Wenn sie davon erzählte, bekam sie
heute noch eine Gänsehaut. Als ich nur noch dagesessen und die weiße Wand in
meinem Zimmer angestarrt hatte, in dieser furchtbaren Zeit nach Spielmann,
hatte sie mir diese Musik geschenkt. Jarrett und Adela hatten mir damals
geholfen, wieder an das Licht am Ende des Tunnels zu glauben.
Ich nahm mein
Zimmer in
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