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Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Titel: Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Protest, so plump, dass er fast unschuldig anmutet, wenn er aus dem Innersten eines verwundeten Ichs kommt. Der unschuldig anmutet, wenn er von einem selbst kommt und nicht laut geworden ist.
    »Na ja«, sagte er ganz sanft. Mit Gerechtigkeit hatte das nichts zu tun.
    »Sunny und Johnston wissen nichts davon«, sagte er. »Niemand von denen, die wir seit unserem Umzug kennen gelernt haben. Das schien uns der bessere Weg zu sein. Sogar die Kinder – sie erwähnen ihn kaum je. Erwähnen seinen Namen nie.«
    Ich gehörte nicht zu denen, die sie erst seit ihrem Umzug kennen gelernt hatten. Nicht zu denen, in deren Mitte sie ihr neues schweres, normales Leben führen würden. Ich war jemand, der davon wusste – das war alles. Jemand, den nur er kannte.
    »Merkwürdig«, sagte er und sah sich um, bevor er den Kofferraum des Wagens öffnete, um seine Golfsachen zu verstauen.
    »Was ist aus dem Mann geworden, der vorhin hier geparkt hat? Hast du nicht auch ein anderes Auto hier stehen sehen, als wir ankamen? Aber auf dem Platz habe ich niemand sonst gesehen. Wenn ich’s jetzt bedenke. Oder du?«
    Ich verneinte.
    »Mysteriös«, sagte er. Und wieder: »Na ja.«
    Das war ein Wort, das ich als Kind im selben Tonfall recht häufig gehört hatte. Eine Brücke zwischen einem Thema und einem anderen oder ein Abschluss oder eine Art, etwas zu sagen, das nicht ausführlicher gesagt oder gedacht werden konnte.
    »Eine Naja ist eine Brillenschlange.« Das war die scherzhafte Antwort.
    * * *
    Das Unwetter hatte der Swimmingpool-Party ein Ende bereitet. Es waren zu viele da gewesen, als dass sich alle ins Haus retten konnten, und diejenigen mit Kindern waren in der Mehrzahl nach Hause gegangen.
    Während Mike und ich zurückfuhren, verspürten wir beide ein Kribbeln, ein Jucken oder Brennen an den bloßen Unterarmen, den Handrücken und um die Fußgelenke. Stellen, die nicht von unserer Kleidung geschützt waren, als wir im Unkraut hockten. Mir fielen wieder die Nesseln ein.
    Als wir dann in trockenen Sachen in Sunnys rustikaler Küche saßen, erzählten wir von unserem Abenteuer und zeigten unseren Hautausschlag her.
    Sunny wusste, was zu tun war. Die gestrige Fahrt mit Claire zur Notaufnahme des örtlichen Krankenhauses war nicht der erste Familienbesuch dort gewesen. An einem früheren Wochenende waren die Jungen zu der verwilderten, lehmigen Wiese hinter der Scheune hinuntergegangen und übersät mit Quaddeln und roten Flecken zurückgekommen. Der Arzt sagte, sie mussten in Nesseln geraten sein. Sich darin gesuhlt haben, so drückte er sich aus. Er verordnete kalte Umschläge, ein Einreibemittel mit Antihistaminen und Tabletten. In der Flasche mit dem Einreibemittel war noch etwas drin, und es gab auch noch die Tabletten, denn Mark und Gregory hatten sich schnell erholt.
    Die Tabletten lehnten wir ab – unser Fall schien nicht schwer genug.
    Sunny sagte, sie habe mal mit der Frau am Highway geredet, die sie beim Tanken bediente, und die habe gesagt, es gebe eine Pflanze, deren Blätter, zu Brei zerrieben, seien das beste Mittel gegen Nesselausschlag. Die Tabletten und all das Zeug brauchen Sie gar nicht, so die Frau. Der Name der Pflanze hatte irgendwas mit Hufen zu tun. Hufblatt? Die Frau hatte ihr gesagt, die Pflanze sei an einem bestimmten Straßengraben bei einer Brücke zu finden.
    Sunny wollte unbedingt danach suchen, ihr gefiel die Idee eines volkstümlichen Heilmittels. Wir mussten darauf hinweisen, dass schon das Einreibemittel vorhanden und bezahlt war.
    Sunny genoss es, uns zu verarzten. Unser Missgeschick versetzte sogar die ganze Familie in gute Laune, rettete sie aus dem Trübsinn einer ins Wasser gefallenen Tagesplanung. Die Tatsache, dass wir uns entschieden hatten, gemeinsam etwas zu unternehmen, und dann in dieses Abenteuer geraten waren – ein Abenteuer, das bei uns seine Spuren hinterlassen hatte –, versetzte Sunny und Johnston offenbar in spottlustige Erregung. Vieldeutige Blicke von ihm, fröhliche Fürsorge von ihr. Wenn wir Spuren einer richtigen Missetat heimgebracht hätten – Quaddeln am Po, rote Flecken an Hüften und Bauch –, wären sie natürlich nicht; so begeistert und fürsorglich gewesen.
    Die Kinder fanden es komisch, wie wir dasaßen, die Füße in Waschschüsseln, die Arme und Hände dick verpackt. Besonders Claire entzückte der Anblick unserer nackten, lächerlichen Erwachsenenfüße. Mike wackelte für sie mit seinen langen Zehen, was bei ihr ängstliche Kicheranfälle

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