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Himmel und Hölle

Titel: Himmel und Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Schmerzen zu explodieren.

    »Was sagst du in solchen Fällen zu deinen Patientinnen?«, versuchte Stefan mich abzulenken. »Tief in den Bauch atmen, ruhig bleiben, bis zehn zählen …«
    Er meinte es gut, aber es gibt Situationen im Leben einer Frau, da sollte ein Mann DA sein, aber ansonsten die Klappe halten.
    »Du hast ja keine Ahnung …« Ich keuchte um mein Leben. Natürlich hatten wir keinen Geburtsvorbereitungskurs besucht, Stefan und ich. Erstens ist das reine Zeitverschwendung, und zweitens war ich als zukünftige Gynäkologin mit solchen Dingen durchaus vertraut. Immerhin hatte ich inzwischen schon über drei-hundert Geburten selbst geleitet. Ich hatte wirklich Besseres zu tun gehabt, als mich mit dem Ehemann auf einem Medizinball herumzuwälzen. Zumal das Sockenaroma der anderen werdenden Väter mir den Rest gegeben hätte.
    »Ist sie vorbei?«
    »Ich glaube, ja.«
    »Na gut, dann lass uns weitergehen.«
    Stefan nahm das Schieben des Rollstuhls wieder auf. Er keuchte inzwischen selbst wie ein Ackergaul, schließlich wog ich jetzt stolze achtzig Kilogramm. Wie ich verkniff er sich starke Schmerzen.
    »Es klappt jetzt übrigens mit dem SB-Warenhaus gleich neben der Autobahn nach Chemnitz«, plauderte er und wechselte unauffällig das Thema. »Die Regierung genehmigt auch sämtliche Sortimente, ist das nicht ein Hammer?«
    »Ja, das ist ein HAMMMMM…«

    Die nächste Wehe schoss mir so heftig durch den Leib, dass ich glaubte, keine Luft mehr zu bekommen. Ich krallte mich an einem Rosenspalier fest, an dem Stefan gerade etwas knapp vorbeigeschrammt war, und merkte gar nicht, wie sehr die Dornen stachen. Mit hervorquellenden Augen schnappte ich nach Luft.
    »So weh tun Wehen? Ach DESHALB heißen die so!«
    »Liebes! Wenn du loslässt, kann ich weiterschieben!«
    Klappe, dachte ich. Bitte. Einfach nur KLAPPE!
    »Und ein … und aus. Und noch mal ganz tief ein … und aus!«, versuchte ich es mit Selbsthypnose. Hecheln. Jetzt bloß nicht pressen. Nicht, dass es hier auf dem geharkten Parkweg zu einer Sturzgeburt kam … Die Kollegen hatten bestimmt anderes zu tun.
    »Geht’s wieder? Und was den Lärmschutzwall anbelangt …«, versuchte mich Stefan abzulenken. Er meinte es bestimmt gut, aber er war eben ein MANN. Und die sagen GRUNDSÄTZLICH das Falsche, wenn eine Frau Wehen bekommt.
    »Der Lärmschutzwall ist eine prima Idee«, röchelte ich unter Schweißausbrüchen. »Kannst du nicht mal um einen Lärmschutzwall im Krankenhausgarten ansuchen? Denn die nächste Wehe ertrage ich nicht mehr, ohne zu schreien!«
    »Ach Konstanze!« Stefan strich mir zärtlich über den schweißgebadeten Nacken. »Viele Frauen kriegen Kinder. Es ist noch keines dringeblieben.«
    Ich schlug seine Hand weg. Männer sollen die KLAPPE
halten und die Frauen NICHT berühren, wenn diese niederkommen. Kann das nicht mal einer ins Grundgesetz aufnehmen?
    »Aber nicht ohne PDA«, schrie ich hilflos.
    »Du willst dir eine Rückenmarksspritze geben lassen? Dann schieben wir jetzt mal schnell weiter. Bitte lass das Rosengitter los, Liebling!«
    »Ich versuche es ja! Aaaahh, tut das weh!«
    Als Gynäkologin hatte ich schon viel erlebt, mir aber manchmal heimlich gedacht, dass die Gebärenden ganz schön viel Theater machen. Besonders die Südeuropäerinnen schreien sich förmlich die Seele aus dem Hals. Als vornehmes hanseatisches Nordlicht hatte ich Haltung und Contenance gelernt, da würde ich ja wohl, ohne einen Laut von mir zu geben, entbinden können. Aber dass Wehen SO WEH tun, das hatte ich nicht geahnt.
    Ich muss jetzt gelassen bleiben, rief ich mich selbst zur Ordnung. Stefan hält so große Stücke auf mich. Ich bin zäh. Das waren meine vernünftigen Gedanken. Jedenfalls bis zur nächsten Wehe.
    »Ich will sofort in den Kreißsaal«, rief ich panisch. »Jetzt!«
    »Da ist jetzt keiner mehr«, meinte Stefan ganz kleinlaut, und das war das erste Mal, dass ich ihn fast hilflos erlebte. »Guck mal. Alle Lichter sind aus.«
    »Dann machen sie sie eben wieder an, verdammt noch mal! Oh Gott, wenn mir jetzt hier die Fruchtblase platzt!« Hilflos klammerte ich mich an Stefan fest.
    »Meinst du nicht, du könntest es noch ein BISSCHEN
hinauszögern? Denk daran: Jeder Tag, den die Maus in deinem Bauch bleiben kann, ist ein geschenkter Tag für sie.«
    Ich hätte ihn umbringen können! Dass Männer in solchen Situationen so altklug und besserwisserisch sein können! ICH war am PLATZEN, und er faselte so neunmalklug daher. SCHNAUZE, MANN!!!

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