Himmel und Hölle
alle Nackenhaare auf. Wie elektrisiert schoss ich in die Senkrechte.
WAS hatte diese fremde Stimme am Telefon da gerade gesagt?
Stefan hatte einen UNFALL?
Einen schweren Unfall. Er hatte sich mehrmals überschlagen. Weil er so gerast war. Mit über zweihundert. Das passte zu ihm. Er war im Auftrag des Grafen unterwegs. Da verlor er keine Zeit.
Das WAR gar kein Versuch, mich ein wenig aufzuheitern. Plötzlich schlug mein Herz bis zum Hals. Stefan!! Hastig versuchte ich, aus dem Bett zu klettern. Mit zitternden Fingern riss ich mir die Infusionsnadel aus dem Arm und schleuderte den ganzen Kabelsalat auf den Boden. Wenn dem so war, musste ich sofort zu ihm!
Diesmal dachte ich nicht daran, dass es peinlich sein könnte, die Schwestern zu stören. Verzweifelt hämmerte ich auf die Notruftaste ein. Es war das erste Mal seit elf Wochen, dass ich sie benutzte.
11
Zu meinem grenzenlosen Erstaunen stand Professor Aigner nach zehn Sekunden in der Tür.
»Sie wollen doch wohl nicht aufstehen?!«
»Nicht, dass Sie denken, es wäre wegen der Opernkarten …« Nervös suchte ich mit den Füßen nach meinen Pantoffeln, die sich mal wieder zu einem trauten Tête-à-Tête unter dem Bett verkrochen hatten. »Es ist … mein Mann hatte einen schweren Unfall!«
Hilflos begann ich zu heulen. Erst jetzt war ich imstande zu begreifen, was dieser Verkehrspolizist mir da soeben am Telefon erzählt hatte!
Professor Aigner drängte mich sanft ins Bett zurück. Obwohl er das sonst niemals tat, setzte er sich zu mir.
»Moment mal. Immer schön der Reihe nach.«
Unter Schluchzen und Stammeln brachte ich nun heraus, was mir vorhin zu Ohren gekommen war.
»Ich hab die ganze Zeit geglaubt, da erlaubt sich einer einen Scherz mit mir …«
»Na, dem würde ich aber die Ohren lang ziehen!«
»Aber es war wirklich die Verkehrspolizei! Stefan hatte heute einen dringenden Termin in Rehau, und ich weiß, dass er dann über die Autobahn flitzt! Da kennt der nix!«
»Ich fürchte, das stimmt. In der Zentrale hat man nämlich auch schon angerufen. Eben kam es in den Nachrichten, und ich war gerade auf dem Weg zu Ihnen, um es Ihnen so schonend wie möglich beizubringen.« Der Professor schüttelte den Kopf. »Da ist man mir leider zuvorgekommen.«
»Ich muss jetzt sofort in die Unfallklinik nach Bayreuth!«
»Sogar der Wendelsteiner Bürgermeister Kelsch ist schon zu ihm aufgebrochen«, überlegte mein vertrauter Professor Aigner laut. »Es scheint also was Ernstes zu sein, wenn der Bürgermeister höchstpersönlich von so weit anreist.«
»Hoffentlich ist der Pfarrer noch nicht auf dem Weg!« Panik ergriff mich und versuchte, mich kaltzustellen. Aber nicht mit mir, mit Konstanze Kuchenmeister! Stefan hatte immer, IMMER zu mir gestanden. Bei jedem kleinen oder großen Wehwehchen war er da gewesen. Und jetzt musste ich zu ihm. Da fuhr die Eisenbahn drüber.
Umständlich versuchte ich mich aufzurappeln und mit meinem schwangeren Bauch an dem Professor vorbeizumogeln.
»Fragt sich nur, wer von Ihnen beiden transportfähiger ist«, sagte der Professor und wiegte das weise Haupt. »Wenn er wirklich keine inneren Blutungen hat …«.
»Dann …?«
»Dann legen wir ihn hierher zu Ihnen«, sagte Professor Aigner.
Und so geschah es auch. Stefan war der dritte männliche Patient in der Geschichte dieser gynäkologischen Abteilung, der dort ein offizielles Bett hatte.
Sechs Tage lagen wir gemeinsam in diesem Zimmer in der Neugeborenen-Abteilung, Stefan und ich, ohne inzwischen über ein Neugeborenes zu verfügen. Wir waren zum Warten verdammt. Aber zu zweit. Und Stefan ging es zum Glück lange nicht so schlimm wie befürchtet. Abgesehen von einigen Quetschungen und Schrammen war es wohl mehr der heilsame Schock, der ihm noch in den Knochen saß. Er war auf der Autobahn A9 München-Berlin im Auftrag des Grafen unterwegs gewesen. Auf dem Weg hatte er Vollgas gegeben, weil er mir die Freude mit der Oper machen wollte! Fünf Mal überschlug sich sein Wagen kurz vor der Autobahnbrücke, ausgerechnet beim Schild »Autobahnkirche«! Da muss wohl der liebe Gott seine Hand schützend über ihn gehalten haben. Er krabbelte unter Schock aus dem Wrack und fand als Erstes seinen Ehering. Diesen Teil der Geschichte fand ich am rührendsten. Ich musste schon wieder weinen. Stefan liebte mich wirklich.
Und nun hatte der liebe Gott uns auf diese Weise ein paar Tage Zeit miteinander verordnet. Wie symbolisch, dachte ich.
Kurz bevor unsere Zweisamkeit für
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