Himmel und Hölle
immer beendet sein sollte. Seit wir uns kannten, waren sechs Jahre vergangen. Wir waren mit unseren Karrieren beide so beschäftigt gewesen, dass wir tatsächlich noch nie vierundzwanzig
Stunden am Stück zusammen verbracht hatten! So schlimm der Unfall von Stefan hätte ausgehen können, so dankbar waren wir jetzt für diese besinnlichen Stunden. Er behandelte mich nicht wie eine Kranke, ich behandelte ihn nicht wie einen Kranken, und das war genau das Richtige.
Und so kam es, dass wir am Abend des 8. Septembers’99 in ein trautes Gespräch vertieft durch den Krankenhausgarten spazierten. Das heißt, wir spazierten nicht wirklich. Er humpelte und hielt sich am Rollstuhl fest, in dem ich hochschwanger hockte. Wir waren wirklich das Jubelpaar der Klinik. Nach wie vor durfte ich keinen Schritt gehen, was mich inzwischen fast wahnsinnig machte. Aber nachdem ich einen Zimmergenossen hatte, durfte dieser mich wenigstens durch den Park schieben.
Stefan war wie immer aktiv und kümmerte sich noch vom Krankenhaus aus um Baugenehmigungen für Supermärkte in verkehrstechnisch günstigen Lagen, die nach amerikanischem Vorbild wie Pilze aus dem Boden schossen. Dabei ging es natürlich immer wieder um Politik. Politik war ja Stefans Leidenschaft. Er redete nicht viel über seine beruflichen Angelegenheiten, höchstens, wenn es knifflig wurde. Zum Beispiel, wenn eine Stadt massiv gegen eine solche Ansiedlung protestierte.
»Als werdende Mutter bin ich jetzt schon ein wahnsinniger Großmarkt-Fan! Ich kann die ganze Aufregung um die Discounter gar nicht nachvollziehen!«, sagte ich munter, während mich Stefan tapfer durch
den Kies des spätsommerlichen Krankenhausgartens schob.
»Millionen Kunden sind doch der Beweis, wie dankbar Großmärkte auch in Kleinstädten aufgenommen werden«, antwortete Stefan und umrundete zielstrebig die herrliche Rosenrabatte. »Welche viel beschäftigte Mutter will denn heute noch mit dem Kinderwagen im Tante-Emma-Laden Schlange stehen?«
Ich war richtig euphorisch, wahrscheinlich waren das bereits die ersten Hausfrauenhormone, die mich Hochschwangere überschwemmten: »Du hast recht. Ich kann mir sogar vorstellen, dass es Mütter gibt, die allein schon deshalb in den Großmarkt gehen, weil ihnen sonst die Decke auf den Kopf fällt. Leise Musik … und alles ist so wunderbar übersichtlich. Alle Dinge des täglichen Bedarfs sind zu haben, und alles ist frisch.« Wenn ich meinen Facharzt nicht schaffte, würde ich als singende Hausfrau im Werbefernsehen Einzug halten.
Stefan konnte einfach nicht nachvollziehen, was an kleinen Tante-Emma-Läden in der denkmalgeschützten Altstadt so toll sein sollte. Die sahen zwar hübsch aus, waren aber einfach nicht mehr zeitgemäß. »Wo soll man denn da parken? Man muss doch den Mut haben, sich auf die Bedürfnisse des modernen Menschen einzustellen!«, entrüstete sich Stefan. »Das ist doch nichts Unmoralisches! Außerdem sind auf diese Weise in den letzten Jahren bald fünfzigtausend Arbeitsplätze alleine bei Billi entstanden.«
»Du machst das großartig, Stefan, ich bin voll auf deiner Seite.« Unauffällig veratmete ich eine Wehe.
»Dass die Kommunalpolitik sich mancherorts so altmodisch benimmt! Wir müssen doch die Interessen der Bürger vertreten …«
Als Stefan merkte, dass ich mich vor Schmerzen krümmte, ließ er sofort von seinem Lieblingsthema ab. »Ist alles in Ordnung? War das eine Wehe? Schaffst du es?«
Eigentlich war es ja die beste Geburtsvorbereitung überhaupt, mit dem eigenen Ehemann eine Woche vor der Geburt auf der Neugeborenen-Station zu wohnen. Das sollte Pflicht für junge Paare werden: Das Geschrei der Babys, der Anblick der frischgebackenen Mütter, die im Bademantel auf dem Flur herumwankten und ihre Dammschnitte mit Kamillentee spülten, waren schon eine gute Einstimmung auf die Realität. Ich stöhnte, woraufhin der werdende Vater an meiner Seite eiligst den Rückweg antrat - so gut es eben ging mit seinen eigenen Handicaps. Die Amseln sangen sich die Kehle aus dem Hals, und die laue Luft roch schon leicht nach Herbst, als mich plötzlich eine Wahsinns-Wehe überrollte. Das war keine leichte Eröffnungswehe, das war der Hammer!
»Puh, ich glaube, jetzt zerreißt es mich!«
»Komm, Konstanze! Versuch sie zu veratmen! Der Geburtstermin ist erst Mitte Oktober! Einen Monat noch! Du schaffst das! Ich bin bei dir!«
»Na Wahnsinn, tut das weh!«
Ich klammerte mich keuchend an meine Armlehnen und versuchte, nicht vor
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