Himmel und Hölle
Mutterfreuden werden. Aus irgendeinem Grund hatte das Schicksal noch viel mehr mit mir vor. Mein Leben war schon immer die reinste Achterbahn gewesen, und wenn sich der Regisseur da oben langweilte, dachte er sich einen noch abenteuerlicheren Hindernislauf für mein Leben aus.
Eines Tages stellte mein Zahnarzt einen schwierigen Überbiss bei mir fest.
»Na und?«, sagte ich lässig. »Guter Doktor, es gibt Schlimmeres.«
»Nein, liebe Frau Kollegin, ich muss Ihnen leider mitteilen, dass sich dieser Überbiss noch verschlimmern wird. Eines Tages werden Sie aussehen wie ein Hase.«
»Ach, Doktor, Sie übertreiben!«, versuchte ich die Sache runterzuspielen. »Ich bin doch fünfunddreißig Jahre alt! Wo soll sich denn hier noch ein Überbiss entwickeln?«
»Schauen Sie.« Der Doktor führte mich zu den Röntgenaufnahmen, die er von meinem Kiefer angefertigt hatte. Gott sei Dank keine Röntgenaufnahmen von einem Kiefertumor, wie ich sie so oft in der Klinik gesehen habe.
»Sehen Sie … hier!« Als Nächstes erklärte er mir ziemlich anschaulich, dass er mir insgesamt vier Zähne ziehen müsse und dass ich danach eine Zahnspange zu tragen habe.
»Eine Zahnspange? Sie scherzen! Ich bin Gynäkologin und tröste Risikoschwangere, die Missgeburten erwarten! Was glauben Sie, welchen Eindruck ich da mit Zahnspange auf die mache?«
»Wenn Sie sich nicht überzeugen lassen, rufe ich Ihren Mann an!«
»Nein, bitte tun Sie das nicht!«
»Oh doch!« Der Zahnarzt kannte meinen Mann und wusste, dass er das kompromissloseste Wesen in ganz Nürnberg und Umgebung war.
»Stefan, überrede deine Frau zu der Zahnspange! Sonst hat sie ihr Leben lang einen Überbiss!«
Damit hatte der Zahnarzt mitten ins Schwarze getroffen. Mit den Worten »Das ziehen wir jetzt durch, Konstanze!« schleifte mich mein lieber Stefan zum Kieferorthopäden und ließ sich aus lauter Solidarität gleich selbst eine Zahnspange anpassen.
So war mein Stefan.
Zum Glück hatte Tom Cruise damals auch eine Spange im Mund - von daher war das fast schon wieder schick.
So kam es, dass man mich in der gynäkologischen Praxis für eine Schülerin hielt, die gerade ein Schnupper-Praktikum macht. So eine Spange verjüngt doch ungemein!
Und dann klingelte eines Tages in unserer Villa das Telefon.
»Konstanze? Sind Sie noch interessiert an einer Stelle in meiner Klinik?«
»Professor Aigner! Wie schön, mal wieder von Ihnen zu hören!« Mein Herz klopfte bis zum Hals. Irgendwie war dieser Mann ja für mich das Salz in der Berufssuppe. Er hatte mir die Grundlagen meines Traumberufs vermittelt.
»Wollen Sie Ihr letztes Facharztjahr bei mir fertigmachen oder nicht?«
»Nichtsch lieber alsch dasch, Professor Aigner«, nuschelte ich errötend in den Hörer. Verdammte blöde Zahnspange! Sie saß so elend fest im Mund und war auch noch mit Gummibändern fixiert, die mich daran hinderten, den Mund zu öffnen. Ich fasste mir an den Hals. Im Hintergrund schrien die Kinder. Auf dem Herd kochte der Brei über, und morgen früh um acht erwartete man mich wieder in der Risiko-Praxis.
»Ja oder nein? Die Bewerber stehen hier Schlange!«
»Ja!«, rief ich begeistert. »Dange, dasch Schie an misch gedascht ham!«
»Sind Sie irgendwie … betrunken?«
»Nein! Völlisch nüschtan!«
»Gut. Dann fangen Sie gleich Montag an!«
»Montag, schagen Schie? Kommenden Montag?« Sofort begannen in meinem Kopf tausend Gedanken durcheinanderzupurzeln.
Wie die Bällchen mit den Lottozahlen flogen sie wild in meinem Kopf herum. Wieder zurück in die Oberpfalz.
Was hatte ich in den sechs Jahren seitdem nicht alles erlebt!
Die Kinder. Das Haus. Die Ultraschall-Spezialpraxis. Stefan. Die Politik.
Wir würden wieder umziehen müssen. Kurzer Rückblick: In Wendelstein hatten wir gelebt, als Stefan noch Bürgermeisterflausen im Kopf gehabt hatte. Dann waren Bayreuth und das Billi-Dach angesagt gewesen. Jetzt hatten wir die schicke Villa, die zwar nur gemietet war, uns aber anfänglich finanziell ganz schön gefordert hatte. Dafür verfügte das Huf-Haus auch über einen Schildkrötenteich.
Jetzt hieß es also wieder unsere Zelte abbrechen und so nahe wie möglich an die Klinik ziehen. Denn natürlich standen wieder Nachtdienste auf dem Programm.
Stefan. Stefan war dafür da, mein Leben zu organisieren. Der würde alles regeln. Ich war immer nur spontan.
»Konstanze, sind Sie noch dran?«
»Klar, Professor, Montag isch gar kein Problem, aber …«
»Oder sind Sie etwa schon wieder
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