Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Himmel und Hölle

Titel: Himmel und Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
Vom Netzwerk:
quasi ohnmächtig.
    Was mir bevorstand: Es wurde der Kieferknochen durchgesägt und wieder gerichtet.
    Ist das nicht gruselig, wenn man meint zu ersticken, alles erschlafft und man sich gar nicht bemerkbar machen kann? Das war wirklich der blanke Horror für
mich, obwohl ich in der Zwischenzeit schon einiges gewöhnt war! Diese Anästhesistin hätte mir fast den letzten Nerv geraubt!
    Nachher hieß es, die Operation sei gut verlaufen. Und das, obwohl mein ganzes Gesicht eine einzige geschwollene, blau angelaufene Masse war. Natürlich hätte ich wie so viele andere noch ein Weilchen dort vor mich hindämmern können. Aber ich hatte wirklich Besseres zu tun! Meine lieben Kleinen warteten auf ihre Mama! Mein schlechtes Gewissen hatte ja einen Dauerparkplatz in meinem Unterbewusstsein, und so musste ich wohl den Kindern noch kurz vor der OP versprochen haben, mit ihnen am Wochenende einen Kuchen zu backen.
    Also entließ man mich auf eigenen Wunsch nach Hause.
    Stefan versuchte, sich sein Entsetzen nicht anmerken zu lassen.
    »Eine ziemlich negroide Lippe«, stellte er so sachlich wie möglich fest und legte einfach den Hörer auf, obwohl er gerade mit jemandem telefoniert hatte. »Bleibt das so?«
    »Keine Ahnung«, wimmerte ich, vor Schmerzen schon fast besinnungslos.
    Glücklicherweise wusste unsere fantastische Nicole sofort, was zu tun war: Sie bugsierte die Kinder durch den Garten nach draußen, um ihnen meinen grauenhaften Anblick zu ersparen. »Ich bringe sie noch zu Ihren Eltern«, rief sie noch im Davonspringen. »Die können ganz toll Kuchen backen! Schönes Wochenende!«

    »Das Mädchen ist ein Geschenk des Himmels«, versuchte ich zu äußern, aber außer blutigem Schleim kam nichts aus meinem Mund.
    »Konstanze, ich weiß, dass du hart im Nehmen bist«, sagte Stefan besorgt. Er beugte sich vor und betrachtete mein Gesicht kritisch. »Aber das hier sieht mir nicht mehr normal aus.«
    Meine Unterlippe war gefühlt bis auf die Größe eines Autoreifens angeschwollen.
    »Die wird nicht mehr«, mutmaßte Stefan mit kritischem Blick. »Die sieht so aus, als könnte sie jeden Moment abfallen.«
    Solcherlei Komplikationen kannte ich von Brust-Operationen: Es kommt nach Brust-Operationen manchmal vor, dass die Brustwarze wegen Stauung im Gewebe schwarz wird. Und dann fällt sie tatsächlich ab.
    Ich sah mich schon als unterlippenloses Monster durchs Leben gehen und Stefan in den Armen der blonden Nicole.
    Um derlei zu verhindern, bat ich Stefan unter blubberndem Stöhnen, irgendetwas zu unternehmen.
    Er griff beherzt zum Telefon und brüllte so lange in den Hörer, bis er die Operateurin an der Strippe hatte. Obwohl es Samstag war, inzwischen kurz vor Mitternacht. Wenn meinem Stefan was gegen den Strich geht, dann ist er nicht mehr zu halten. Und das hier ging ihm gegen den Strich.
    So war mein Stefan. Der wartete nicht, bis wieder Sprechstunde war, und setzte sich dann demütig in ein überfülltes Wartezimmer. Der nicht! Damals wusste
ich noch nicht, wie sehr mir diese Eigenschaft noch helfen würde.
    »Sagen Sie mal, was haben Sie denn mit meiner Frau gemacht?«
    »Das war eine ganz normale Kiefer-OP, und solche Komplikationen sind kein Einzelfall.«
    »Sie sieht aus wie ein geplatztes Michelin-Männchen!«
    »Das legt sich wieder«, sagte die Ärztin tröstend. »Sie muss halt jetzt ein bisschen tapfer sein!«
    »Wissen Sie, wie tapfer meine Frau ist?«, brüllte Stefan in den Hörer. »Sie haben ja keine Ahnung, wovon Sie reden!«
    »Das mag sein«, antwortete die Kollegin. »Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen. Ich bin müde und hatte einen langen Tag.«
    Mit diesen Worten legte sie auf.
    Ich schleppte mich zum Küchentisch und schrieb »Apotheke! Dipidolor!« auf unsere kleine Einkaufslistentafel.
    Stefan verstand sofort. Er raste mit dem Rezept in die Notapotheke und besorgte mir dieses starke Schmerzmittel.
     
    Mit einer Plastikschiene im Mund meldete ich mich kurz darauf in München zur Facharztprüfung an.
    »Hatten Sie Krach mit Ihrem Mann?«, fragte mich die Sekretärin besorgt.
    »Kiefer-OP«, lallte ich und versuchte, mir ein freundliches Lächeln abzuringen.

    »Meinen Sie nicht, dass Sie Hilfe brauchen?«
    Die Sekretärin schielte schon auf die Nummer der Polizei.
    »Alles okay«, nuschelte ich. »Ich liebe meinen Mann!«
    »Das sagen alle!« Die Sekretärin kritzelte mir schnell die Nummer eines Münchner Frauenhauses auf einen Zettel. »Behalten Sie den. Man weiß ja nie, was

Weitere Kostenlose Bücher