Himmel und Hölle
Mikroblutuntersuchungen und auch fürs Warten. Keine volle Praxis sitzt dir im Nacken, und niemand drängt. Und wenn bei der Geburt der Damm reißt, nähst du ihn einfach. Mehr machst du als Arzt nicht. Die eigentliche Arbeit leisten die Hebammen. Und die Mütter, natürlich.
Nur, wenn auf einmal das CTG schlecht ist, also die kindlichen Herztöne schwächer werden oder gar nicht mehr zu hören sind, oder wenn die werdende Mutter auf einmal tierisch anfängt zu bluten, gerätst du ins Schwitzen. Nach außen hin bleibt man als Arzt völlig cool. Man behauptet, dass alles bestens sei, dass sich die Patientin hier in den besten Händen befinde, dass sie sich entspannen könne. Denn nur so kann eine Patientin weiter mitarbeiten. Wenn die eine Panikattacke bekommt, können wir einpacken!
Aber während man solche Beruhigungsfloskeln von sich gibt, läuft in dem Gehirn eines Arztes ein Horrorfilm nach dem anderen ab.
Aus meiner Zeit bei Professor Aigner gibt es unzählige Geschichten:
Einmal war ich allein auf der Station und musste zehn Leute auf den OP vorbereiten. Im Kreißsaal fanden zwei Entbindungen gleichzeitig statt. So viel war auf meiner Station noch nie los gewesen. Ich war schon ziemlich erschöpft, an Essen, Trinken oder Beinehochlegen war gar nicht zu denken.
Plötzlich stand wieder eine neue Schwangere vor mir, die ich bisher noch gar nicht gesehen hatte. Sie war allein und machte einen verwirrten Eindruck.
Ich hetzte gerade von einem Entbindungszimmer ins andere, hatte noch Reagenzgläser mit Blut in der Hand und kritzelte im Laufen die Werte einer Patientin auf ihre Karteikarte.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte ich so freundlich wie möglich.
»Ich weiß auch nicht«, lautete die Antwort. »Es ist ein Tropfen Blut rausgekommen. Irgendetwas stimmt da nicht.«
Bei diesen Worten werde ich immer ganz hellhörig.
Eine Schwangere fühlt am besten, wenn sie Hilfe braucht. »Die Frau wird an das nächste freie CTG angeschlossen«, teilte ich der Hebamme mit, die ebenfalls völlig überfordert war. Wir hatten Verstärkung angefordert, aber die war noch nicht eingetroffen.
»Bleib cool, Konstanze, in einer halben Stunde sieht die Situation schon besser aus«, versuchte ich mich selbst zu beruhigen. »Jetzt bloß nicht durchdrehen. Eines nach dem anderen.«
Solcherlei Sprüche mögen für viele Lebensbereiche zutreffen, und oft ist Eile mit Weile wirklich das Gewinnbringendste.
Aber in Geburtsstationen gelten solche Weisheiten nicht.
Wir schlossen die Frau ans CTG an, von dem wir eine stabile Schwangere regelrecht wegrissen, und ich hetzte schon wieder zum nächsten Ultraschall.
Plötzlich hörte ich Schreie.
»Konstanze, komm sofort her!«
Die Herztöne waren die eines sterbenden Kindes.
Noch vor einer Viertelstunde hatte diese Frau ganz ratlos vor mir auf dem Flur gestanden, und jetzt entschied ich: »Das Kind muss sofort raus.«
Ich raste zum Telefon und holte den Oberarzt aus dem Operationssaal.
»Fabian, komm sofort her, wir haben hier ein sterbendes Kind!«
Daraufhin verbannten wir einen gerade operierenden Hals-Nasen-Ohrenarzt kurzerhand aus dem OP und schafften Platz für den Notfall. Das war grenzwertig, aber nicht anders möglich: Die Patientin mit dem Halstumor wurde aus dem OP geschoben und auf dem Flur künstlich weiterbeatmet, während wir unsere Not-Schwangere in den HNO-Operationssaal schoben. Normalerweise muss eine Patientin einem Not-Kaiserschnitt schriftlich zustimmen, aber daran war gar nicht mehr zu denken. Wir fragten noch nicht einmal Professor Aigner um Erlaubnis. Unsere Patientin war schon benebelt, was den lieben Fabian beruflich den Hals hätte kosten können, und auch mein Allerwertester ging auf Grundeis. Die arme Frau war noch gar nicht richtig narkotisiert, da schnitt der Fabian ihr schon den Bauch auf. Die Frau hat Glück gehabt. Die ganze Gebärmutter war eingeblutet. Nicht das Kind hatte Blut verloren, sondern sie.
Das Kind hatte es geschafft, die Mutter auch. Wir mussten allerdings hysterektomieren, das heißt, die Gebärmutter entfernen. Das hat Professor Aigner dann am Tag darauf gemacht.
Eines Tages hatte ich in der Klinik eine Drittgebärende. Fragt mich jetzt nicht, wie die hieß, aber dass sie schon Erfahrung hatte, das weiß ich noch. Die kam ganz entspannt mit ihrem Gatten und richtete sich erst mal häuslich ein.
Der Mann schlenderte rauchend über den Flur, und ab und zu kam er rein und schaute nach dem Rechten.
Ich dachte, dass dies eine
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